„los machen“

Forschung

27.01.2021
Das besondere Objekt, Handschriften und alte Drucke
Skizze auf blauem Hintergrund, Schrift "Das besondere Objekt"

Ein Beispiel aus der Künstlerbüchersammlung der Österreichischen Nationalbibliothek

Das Leporello entstand als druckgrafischer Dialog zwischen Radierungen von Natalia Weiss und Siebdrucken von Georg Lebzelter auf Basis eines Textes Oskar Pastiors. Ein virtueller Expertenvortrag zum aktuellen "besonderen Objekt“.

AutorInnen: Georg Lebzelter, Natalia Weiss (Edith Payer)

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los machen
2015/2016
Leporello, 27 x 19 cm
16 Seiten, Auflage 10 + 2.e.a.
Radierungen & Siebdrucke auf Bütten & ein Gedicht von Oskar Pastior

Zum Bestand der Sammlung von Handschriften und alten Drucken der Österreichischen Nationalbibliothek  gehören auch Künstlerbücher und bibliophile Ausgaben. Der genaue Beginn dieses besonderen Bücherfonds lässt sich nicht genau festlegen.  Die Vermutung liegt nahe, dass es bereits in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts Überlegungen dazu gab. Bereits in den Hausakten aus den Jahren 1929[1] und 1931[2] wird auf Luxusdrucke verwiesen, allerdings immer im Zusammenhang mit der Bezeichnung Rara und Unica – damit sind besonders seltene und wertvoll ausgestattete Ausgaben aus früheren Jahrhunderten gemeint.

Es begann damit, dass man in den 50er- und 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts, Werke mit geringer Auflagenhöhe und besonderer typographischer Ausstattung, so wie mit beigefügten Originalgrafiken und Faksimiledrucke gesondert und geschützt in einem eigenen Depot verwahrte. In der Folgezeit kam es, basierend auf einem Kriterienkatalog, vermehrt zu aktiven Ankäufen der Bibliothek von Pressendrucken[3], künstlerisch ausgestatteten Büchern, die signiert und aufwändig gestaltet wurden, bis hin zu Malerbüchern von österreichischen aber auch internationalen Künstlerinnen und Künstlern. Seit Anfang 2000 werden besonders innovativ und interessant entworfene und gezeichnete Kinderbücher von etwa 1850 bis in die Gegenwart im Sonderdepot Lux aufbewahrt.

Mittlerweile finden sich in der Sammlung viele namhafte österreichische Buchkünstlerinnen und Buchkünstler, die versuchen, ihre Idee vom Buch über einen reinen Informationsträger hinaus durch hohe ästhetische Ansprüche zu gestalten und somit ihre Ideen im Buch darzustellen, wie dies die beiden Künstler Natalia Weiss und Georg Lebzelter in ihrem Buch – „los machen“ so wunderbar veranschaulichen.

Abb. 1

Georg Lebzelter und Natalia Weiss schöpfen in „los machen“ aus den vielseitigen Möglichkeiten der Druckgraphik und der Collage. In dem mit Siebdrucken und Radierungen gestalteten Leporello ist ein Gedicht von Oskar Pastior der Ausgangspunkt für das freie assoziative Aneinanderreihen von Bildern, die im druckgraphischen Dialog der beiden KünstlerInnen über mehrere Monate im Jahr 2016 entstanden sind.

Oskar Pastior wurde deshalb gewählt, weil er mit seinen Sprachexperimenten und Sprachbildern dem künstlerischen Ansatz der beiden entgegenkommt. Das Gemeinsame ist nicht nur die Vorliebe für Anagramme und Wortspielereien, sondern auch das bewusste Verlieren des Fadens, um ihn an anderer Stelle wieder aufzunehmen, und wie Pastior "Vom Sichersten ins Tausendste" zu gelangen.

Lebzelter und Weiss verbindet auf der technischen Ebene insbesondere das Interesse für die Arbeit mit diversen Druckverfahren. Das Drucken ist ihnen nicht nur Mittel der Vervielfältigung – sie insistieren auch in ihren Buchprojekten auf kleinste Auflagen – sondern kreatives Experimentierfeld. Anders als in der Zeichnung und in der Malerei verfügt die druckgrafische Matrix über ein Formengedächtnis, eine spezifische Kapazität zur Speicherung visueller Information. So können Georg Lebzelter und Natalia Weiss einmal getroffene gestalterische Entscheidungen neu bearbeiten, wieder aufnehmen, von sich selbst losmachen und sich gegenseitig zuspielen, als Anknüpfungspunkt für den Anderen, um den Faden an neuer Stelle wieder aufzunehmen und weiterzuspinnen.

Abb. 2

Georg Lebzelter, geboren 1966 in Melk, studierte 1986–1990 Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien bei Maximilian Melcher, 1992/93 Gaststudium an der Universidad Complutense Madrid. Seit 1990 betreibt er ein Atelier für Druckgraphik in Wien und lehrt seit 1999 an der Höheren Graphischen Bundeslehr- und Versuchsanstalt, Wien.

Internationale Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen u.a. in Wien (A), Dortmund, Oldenburg, München (D), Edmonton (CAN), Athen (GRE), Istanbul (TUR), Ljubljana (SLO), Madrid (ESP), Verona (ITA). Teilnahme an Grafikbi- und triennalen u.a. in Polen, Korea, Portugal, Spanien, Bulgarien. Kurator von internationalen Graphikausstellungen im Wiener Künstlerhaus 2007 – 2013. (www.georglebzelter.com)

Ausgehend von den Prinzipien der Collage und Montage untersucht Lebzelter mit den Mitteln der druckgraphischen Techniken des Tief- und Siebdrucks Verbindungen von Einzelteilen, die unabhängig von ihrem ursprünglichen Kontext zu neuen „Systemen“ zusammengefügt werden. Lebzelters Material für „los machen“ und andere Siebdruckserien stammt aus verschiedenen Schullehrbüchern der Biologie aus den 50er- und 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts. In spielerischer Art und Weise wurden die wissenschaftlichen Illustrationen aus ihren Zusammenhängen geschnitten und daraus eigene kleinen Biotope gebaut. Die einzelne Druckform wird nicht nur in ihrer Funktion als Träger einer vervielfältigbaren Bildbotschaft, sondern als flexibler Kompositionsbaustein genutzt – ein Permutationsspiel, methodisch analog dem Kombinieren einzelner Lettern aus dem Gutenbergschen Setzkasten. Die Mehrfachverwendung gleicher Teile in unterschiedlicher Anordnung als Module des Bilderbauens hat auf sprachlicher Ebene eine Analogie im poetischen Sprachexperiment des Anagramms. Wie durch die Veränderung der Buchstabenfolge andere Wörter und Inhalte aus den immer gleichen Grundelementen gebildet werden können, so setzt Lebzelter die graphischen Elemente in unterschiedliche Anordnungen, Relationen, Größen, Überlagerungen und Farben. Die Zerlegung und Neuzusammensetzung eröffnet die verschiedenen Möglichkeitsformen, die aus dem Ausgangsmaterial abgeleitet werden.

Abb. 3

Natalia Weiss, geboren 1973 in Neunkirchen / Niederösterreich, lebt und arbeitet als freischaffende Künstlerin in Wien. Ihre künstlerische Praxis umfasst Radierung, Linolschnitt und Tuschezeichnungen, häufig durch eigene Texte ergänzt oder durch Lyrik angestoßen und oft in Künstlerbüchern gesammelt und aufbewahrt. Neben der freien künstlerischen Arbeit gibt sie in Workshops für Kinder und Erwachsene ihre Begeisterung für die Technik des Tiefdrucks weiter. (www.natalia-weiss.at)

In Natalia Weiss´ Arbeiten tummeln sich eine Menge an Protagonisten, die sich von Werkserie zu Werkserie gerne wiederholen: Tiere, vorzugsweise Vögel, Ratten, Insekten und kleine Reptilien, erscheinen immer wieder neben Teppichmessern, Scheren, Mobiltelefonen und anderen Utensilien des täglichen Bedarfs, um in ihrer Konstellation Stimmungen zu erzeugen und Geschichten zu erzählen.

In diesen intimen Kompositionen geht es immer um den oder viel mehr um einen bestimmten Anderen, mit dem Weiss in ihrer zeichnerischen und druckgrafischen Arbeit in Dialog tritt, der aber dem Betrachter/der Betrachterin der Bilder schlussendlich verborgen bleibt.

„Ich arbeite stetig an meinem inneren, privaten, gezeichneten Vokabularium, über das ich mit der Welt, dem Gegenüber, dem Außen in Kontakt kommen möchte.“

Es sind Bilder, die einen großzügigen Einblick in das Seelenleben der Künstlerin erlauben und gleichzeitig jeden Einblick verweigern.

Atmosphärisch sind die Hintergründe der Ding- und Tierfamilie meistens „Nichträume“, die in ihrer „Nichtheit“ ein ideales Umfeld für die fokussierten Anordnungen (oder Aufstellungen?) der Weiss’schen Wesen und ihrer Sprachkommentare bieten.

Auch diese Aussagen werden chiffriert: In Haikus, Anagrammen, Palindromen, Phantasieworten, Halbsätzen und vehementen Wortwiederholungen, sprechen solche, die in der offiziellen Welt eigentlich nichts zu sagen haben, aus den Bildern heraus und verwirren oder erhellen auf einer zweiten Ebene. Ergänzt werden diese „Sprechblasen“ durch zusätzliche Kommentare, die wie Stimmen aus dem Off erscheinen und die vielfältigen Bildinhalte zusammenfassen.

Zur Technik:

Natalia Weiss ist eine Meisterin des Strichs, oder eigentlich der unendlich vielen Striche, setzt sie doch gerne die Technik der Schraffur ein, um mittels eng aneinandergesetzter Linien ihre Figuren zu modellieren. Diese an einen Kupferstich erinnernde Technik wird gerne mit und auf alten Materialien aus dem Druckerei- und Bürobedarf ausgeführt. Tusche auf vergilbten Bilanzierungstabellen, Letraset-Buchstaben, Feder und Edding-Marker – ein zeitgemäßes Spiel mit Werkzeug aus vordigitalen Zeiten. Hinzu kommt ein Arbeiten in Radier-Technik – vorzugsweise dem Ätzen von Zink – einem aufwendigen Prozess, der fundiertes Wissen und jahrelange Erfahrung verlangt, wobei Weiss immer direkt auf die präparierte Platte arbeitet, ohne vorzuskizzieren oder vorgefertigte Zeichnungen zu reproduzieren. So entstehen unmittelbare Arbeiten, bei denen es keine „Fehler“ gibt, denn die materialbedingten Überraschungen sind wichtiger Teil dieser Technik. (Unter Verwendung eines Textes von Edith Payer, 2018)

Abb. 4

Über die AutorInnen: Georg Lebzelter, geb. 1966, Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien, seit 1990 Atelier für Druckgraphik in Wien, seit 1999 Lehrtätigkeit an der Graphischen, Wien (www.georglebzelter.com). Natalia Weiss, geb. 1973 in Neunkirchen / Niederösterreich. Lebt und arbeitet als freischaffende Künstlerin in Wien. Schwerpunkte: Radierung, Linolschnitt, Tuschezeichnungen, Künstlerbücher (www.natalia-weiss.at )

Literatur:

Groag, Edmund: Bibliotheksgeschichtliche Notizen, Berichte, Rezensionen, u.a.  -  o. O., ohne Datum Cod.Ser.n.23699 Han-Mag

[1] Hausakte: NB 1336/1931
[2] Hausakte: NB 502/1931
[3] Unter Pressdrucken versteht man mit mechanischen Handpressen in kleiner Auflage in traditionellem Hochdruckverfahren hergestellte Drucke, meist mit besonderer  Ausstattung und mit einem Handeinband versehen.

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