Glockendons luxuriöses Gebetbuch

Forschung

28.11.2019
Das besondere Objekt, Handschriften und alte Drucke
Ausschnitt aus Glockendons Gebetbuch. 2 Frauen, mittelalterlich gekleidet, halten sich an den Händen. Button "Das besondere Objekt"
Ein Meisterwerk zwischen Prachtentfaltung und konfessionellen Konflikten. Das Wiener Gebetbuch gilt nicht nur als das Hauptwerk von Albrecht Glockendon, sondern als eine der reichsten und schönsten Miniaturenhandschriften überhaupt.

Autor: Andreas Fingernagel 

Das Objekt

Gebetbuch, lateinisch und deutsch. 207 Blatt (vermutlich zwei Blätter mit Miniaturen ausgeschnitten), 21 x 15 cm, 12 Kalenderseiten, 42 ganzseitige Miniaturen, 39 Seiten mit Randminiaturen. Schwarzer, stark beriebener Samteinband über Holzdeckeln; Schließenbeschläge mit IHS-Monogramm. Goldschnitt. Vermutlich Hall in Tirol, 16. Jhdt.
» zum Digitalisat

Nürnberg, Albrecht Glockendon und Werkstatt, vollendet 1535

Der Auftraggeber

Als Auftraggeber der Handschrift kann Johann II. von Pfalz-Simmern (1492–1557) bestimmt werden, der nicht nur dieses Stundenbuch, sondern ein kurz zuvor entstandenes Bußgebetbuch beim selben Künstler in Auftrag gegeben hatte. Mehrfach erscheint der Besteller auch im Bild. Zuerst in einer opulenten Wappenseite auf fol. 1v (ABB. 1), dann aber auch mehrfach in persona in den Miniaturen der Handschrift.

Vor allem in den 20er- und 30er-Jahren des 16. Jahrhunderts tritt der Pfalzgraf als Mäzen auf, bis im Jahr 1535 die von ihm geförderte Kunstproduktion plötzlich abbricht – das Wiener Stundenbuch steht somit am Ende dieser fruchtbaren Periode seines Mäzenatentums. Dieser Einbruch fällt wahrscheinlich nicht zufällig zeitlich mit dem Tod der Gemahlin des Pfalzgrafen Beatrix zusammen, die, und das war durchaus eine Ausnahme in diesem Genre, in der Wiener Handschrift noch mehrfach an der Seite ihres Gemahls dargestellt war.


Abb. 1. Bl. 1v: Wappen des Pfalzgrafen Johann II. von Pfalz-Simmern (1492–1557) und seiner Vorfahren. Albrecht Glockendon, Gebetbuch, Nürnberg 1534/1535. Wien, ÖNB, Cod. 1880

Geschichte der Handschrift

Die für den Pfalzgrafen hergestellte, 1535 vollendete Handschrift gelangte vermutlich bald nach dem Tod des Auftraggebers (1557) auf noch unbekannten Wegen in das Damenstift Hall in Tirol, das der spätere Kaiser Ferdinand I. 1567 für seine ledigen Schwestern gegründet hatte. Der flüchtige Namenseintrag Madalena, der auf einem Vorsatzblatt des Gebetbuches eingetragen wurde, weist darauf hin, dass eine der Gründerinnen dieses Stiftes, die Erzherzogin Magdalena von Österreich (1532–1590), dieses Buch in ihrem Besitz gehabt hat. Nach der Auflösung des Stiftes im Jahre 1783 gelangte der Codex an die Wiener Hofbibliothek. Kurz darauf wurde es im Zuge der Napoleonischen Eroberungen nach Paris entführt (Stempel der Bibliothèque impériale; vgl. ABB. 2), 1815 aber wieder unversehrt an die Hofbibliothek zurückgestellt.

Der Maler – Albrecht Glockendon

Albrecht Glockendon (um 1495–1545) entstammt einer Malerdynastie (Merkl 2010, S. 41–55). Ihr Stammvater, Georg Glockendon d. Ä. (gest. 1514) ließ sich in den frühen 80er Jahren des 15. Jahrhunderts in Nürnberg nieder, wo er Wappenbriefe und Bücher illuminierte und Einblattholzschnitte druckte und vertrieb, vielleicht auch selbst herstellte; auch in der Kartographie gilt er als Pionier, der von ihm bemalte, um 1492 hergestellte Globus von Martin Behaim war in diesem Metier sein bekanntestes Werk. Seine Söhne Nikolaus (um 1490–1533/34) und Albrecht (um 1495–1545) traten in die Fußstapfen ihres Vaters. Albrecht (vgl. Merkl 2010, S. 45ff.) übernahm wohl in den 30er Jahren seine Werkstatt; unter seinen zahlreichen Auftraggebern ist der Pfalzgraf von Simmern wohl der Bedeutendste. Auch Albrecht arbeitete als Buchmaler und Verleger.

Werke

Von Albrecht Glockendon sind neben einem 1532/33 zu datierenden Bußgebetbuch für denselben Auftraggeber Johann II. von Pfalz Zimmern, heute in der Bayerischen Staatsbibliothek in München (Clm 10013), als weiteres Werk noch ein 1542–1544 entstandenes Festbrevier in der Nürnberger Stadtbibliothek erhalten. Die außerordentliche Stellung des Wiener Gebetbuches, das als sein Hauptwerk gilt, muss auch dem Künstler bewusst gewesen sein, der hier ausnahmsweise die Arbeit mit einer verhältnismäßig opulenten Inschrift auszeichnet (ABB. 2). Seine Autorenschaft belegen weiters die Initialen „AG“, die in die Miniatur der Heimsuchung (vgl. ABB. 4, links unten) eingetragen wurden.


Abb. 2: Bl. 1r: Herstellungsvermerk von Albrecht Glockendon: Vollendet und illuminiert am Unser Frauen Tag Lichtmess Im Jahr 1535 durch Albrecht Glockendon zu Nürnberg. Gott sei Lob und Ehr in Ewigkeit Amen. Albrecht Glockendon, Gebetbuch, Nürnberg 1534/1535. Wien, ÖNB, Cod. 1880

Inhalt-Bilderzyklen
Kalender

Dem Gebetbuch ist ein illustrierter Kalender vorangestellt. Die Monatsblätter sind dabei immer auf zwei gegenüberliegenden Seiten angeordnet; im unteren Bereich (bas-de-page) werden jeweils die sog. Monatstätigkeiten dargestellt. Die breit angelegten Bilder werden dabei für zeittypische Genrebilder genützt; so wird etwa für den Dezember das Schlachten der Schweine thematisiert (Bl. 18r ABB. 3). An den seitlichen Rändern des Kalenders sind die jeweiligen Sternzeichen wiedergegeben.


Abb. 3: Bl. 18r: Kalenderbild zum Monat Dezember. Schlachten der Schweine – Sternbild Steinbock. Albrecht Glockendon, Gebetbuch, Nürnberg 1534/1535. Wien, ÖNB, Cod. 1880

Inhaltliche Erweiterungen: Neues Testament – Altes Testament

Bei der Darstellung der Szenen aus der Lebensgeschichte Christi, die mit der Darstellung der Verkündigung an Maria einsetzt, entwickelt der Maler nicht nur seinen detailreichen Erzählstil, sondern erweitert typischerweise den Inhalt der Hauptszenen, indem er an den Blatträndern Bezüge zu altestamentarischen „Vorbildern“ einfügt. So beispielsweise in der im Lukasevangelium erzählten Heimsuchung (Bl. 32v ABB. 4), die die Begegnung der beiden schwangeren Frauen, Maria und ihrer Kusine Elisabet, zum Inhalt hat. Die Gruppe wird von zwei Frauen begleitet und ist in eine weite Landschaft mit Stadtdarstellungen eingefügt. Die Identifizierung der an den Rändern dargestellten Frauengestalten wird durch die Beifügung der entsprechenden Bibelstellen ermöglicht. Die inhaltliche Klammer dieser vier Frauengestalten aus dem Alten Testament stellen die Lobpreisungen dar. Demnach ist links die Prophetin Mirjam dargestellt, die Schwester Moses, die nach dem Durchzug durch das Rote Meer den Triumphzug der Frauen Israels anführt und, darauf weisen die Trommeln in ihren Händen hin, dem Herrn ein Lied singt. Darunter erscheint die Prophetin Debora, die nach der Vernichtung der Kanaaniter das Debora-Lied anstimmt. Rechts oben ist Hanna mit ihrem Sohn Samuel, dargestellt; sie trägt ein Danklied vor, das in Zusammenhang mit der Lobpreisung Mariens zu sehen ist. Darunter erkennt man Judith mit dem Haupt des Holofernes; die angegebene Textstelle weist darauf hin, dass auch sie ein Loblied singt.

Der Darstellung der Heimsuchung folgen ganzseitige Miniaturen mit der Anbetung der Hirten, der Darbringung im Tempel, der Anbetung der Könige, dem Bethlehemitischen Kindermord und der Flucht nach Ägypten, mit der der Zyklus der Kindheitsgeschichte Christi abgeschlossen wird.


Abb. 4: Bl. 32v: Heimsuchung – alttestamentarische Szenen. Albrecht Glockendon, Gebetbuch, Nürnberg 1534/1535. Wien, ÖNB, Cod. 1880

Im Fokus – die Geschichte des Königs David

Eine Besonderheit innerhalb der Bilderreihen des Gebetbuches stellt der reich illustrierte David-Bathseba-Zyklus dar. Am Beginn wurden zwei Miniaturen ausgeschnitten, doch lässt sich die Bildfolge aufgrund seiner Nähe zur Münchner Handschrift (siehe oben) rekonstruieren. Die erhaltenen fünf Miniaturen zeigen David und Uria, die Ermahnung zur Buße durch den Propheten Nathan sowie Davids Buße und seinen Tod (ABB. 5). Da auch in der für denselben Auftraggeber hergestellten Münchner Handschrift ein ungewöhnlich reicher David-Zyklus dargestellt wird, ist anzunehmen, dass der Pfalzgrafen selbst Einfluss auf die Bildauswahl genommen hat.


Abb. 5: Bl. 74v: Davids Tod – Papst krönt einen König. Albrecht Glockendon, Gebetbuch, Nürnberg 1534/1535. Wien, ÖNB, Cod. 1880

Passion und Heiligenverehrung

Weitere umfangreiche Bildzyklen sind der Passionsgeschichte entnommen. Ihr gehören etwa die Darstellung von Christus am Ölberg und die Beweinung und Grablegung Christi an. Wie bei den Miniaturen aus der Kindheitsgeschichte Christi werden die Darstellungen um typologische Bezüge aus dem Alten Testament ergänzt.

Opulent ist auch die Reihe der Heiligenbilder ausgeführt, die durchwegs ganzseitige, szenisch erweiterte Miniaturen aufweisen. Auch hier ist der Einfluss des Auftraggebers bemerkbar, da nur seinem Namenspatron Johannes (des Evangelisten) zwei Bildseiten zugestanden werden.

Gebetbuch zwischen den Konfessionen

Bei den Bildinhalten ist bemerkenswert, dass mehrfach Darstellungen aufgenommen wurden, die als antikatholisch bzw. proreformatorisch einzustufen sind (Merkl 2010, S. 35f.). Hervorzuheben ist eine Papst- und Klerikersatire, die am unteren Rand der Anbetung der Könige (fol. 48v: ABB. 6) eingefügt wurde und dem Evangelium des Johannes (10,1–10) folgend das Gleichnis vom Schafstall Christi illustriert: demnach werden diejenigen, die den Schafstall nicht durch die Tür betreten als Diebe und Räuber diffamiert. Der Papst und die Kleriker versuchen aber durch das Dach bzw. durch einen Mauerdurchbruch einzusteigen. Dem weniger reformgeneigten Leser war diese Auslegung aber zu drastisch und er hat die Figuren getilgt.

Desgleichen wird auch der Ablasshandel in den Miniaturen kritisiert: gleich zwei Miniaturen (fol. 76v und 124v) bringen diese bei den Reformatoren verpönte Praxis ins Bild – im zweiten Fall hat der gegenreformatorisch gesinnte Leser wieder versucht die Szenen unkenntlich zu machen.

Dem reformatorischen Gedankengut entspricht schließlich auch die Darstellung der Kommunion in beiderlei Gestalt. Merkl (ebd.) hat darauf hingewiesen, dass diese Auslegung wohl der religiösen Ausrichtung des Auftraggebers geschuldet ist, der mit den Lutheranern sympathisierte und nur oberflächlich und aus vermeintlich politischen Gründen dem Katholizismus anhing. In einem inoffiziellen, privaten Gebetbuch konnte er wohl relativ gefahrlos seine eigentliche religiöse Anschauung zum Ausdruck bringen.


Abb. 6: Bl. 48v: Anbetung der Könige – alttestamentarische Szenen. Albrecht Glockendon, Gebetbuch, Nürnberg 1534/1535. Wien, ÖNB, Cod. 1880

Randerscheinungen

Die Bordüren und Initialen werden gelegentlich von Tieren, Menschen und „Wesen“ (z.B. Wildleuten) bevölkert, die offensichtlich keinen unmittelbaren Textzusammenhang aufweisen. Ein zentrales Thema dieser als Drolerien bezeichneten Darstellungen ist die „verkehrte Welt“ in der etwa die Hasen den Jäger erlegen und grillen (ABB. 7).


Abb. 7: Bl. 55r: Bordüre: Hasen „erlegen“ einen Jäger und braten ihn am Spieß. Albrecht Glockendon, Gebetbuch, Nürnberg 1534/1535. Wien, ÖNB, Cod. 1880

Bedeutung

Das Wiener Gebetbuch gilt nicht nur als das Hauptwerk von Albrecht Glockendon, sondern als eine der reichsten und schönsten Miniaturenhandschriften, die wir überhaupt kennen, … Begriffe wie spektakulär und sensationell werden diesem kleinen Wunderwerk nur ansatzweise gerecht. Seine Schönheit und sein Reichtum offenbaren sich nur den wenigen Privilegierten, denen man in Wien den Zugang zum Original gewährt (Merkl 2010, S. 32).

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe » Das besondere Objekt kann Glockendons Wiener Gebetbuch noch bis 6. Jänner 2020 im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek besichtigt werden. 

Zum Autor: Dr. Andreas Fingernagel ist Direktor der Sammlung von Handschriften und alten Drucken der Österreichischen Nationalbibliothek

Literatur:

Ulrich Merkl: Buchmalerei in Bayern in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Regensburg 1999, S. 413–416.

Sinaida Schuller: Das Gebetbuch Johanns II. von Pfalz-Simmern: Miniaturen zwischen den Konfessionen. Diplomarbeit an der Universität Wien. Wien 2008 (» othes.univie.ac.at/1848/1/2008-10-20_9510681.pdf; besucht am 18.11.2019).

Ulrich Merkl (Kommentar): Bußgebetbuch von Albrecht Glockendon. Nürnberg 1532/33 im Auftrag von Johann II. von Pfalz-Simmern. Handschrift Clm 10013 der Bayerischen Staatsbibliothek, München. Gütersloh/München 2010, S. 32–39 passim.

Achtung
Prunksaal

Aufgrund einer Veranstaltung ist der Prunksaal am 24. April 2024 ab 14 Uhr geschlossen.

Folgen Chat
JavaScript deaktiviert oder Chat nicht verfügbar.