Das Stundenbuch des Galeazzo Maria Sforza, das sogenannte Schwarze Gebetbuch

Forschung

20.11.2024
Handschriften und alte Drucke, Restaurierung
Schwarzes Pergament mit weiß-goldener Schrift.

Autorin: Christa Hofmann

Das Stundenbuch des Galeazzo Maria Sforza, des V. Herzogs von Mailand, Codex 1856, ist eine illuminierte flämische Handschrift des 15. Jahrhunderts. Inhaltlich und stilistisch wird das Werk der Stadt Brügge und dem Zeitraum 1450 bis 1475 zugeordnet.1 Das schwarz gefärbte Pergament stellt eine Besonderheit der burgundischen Kunst dar. Alle sieben weltweit erhaltenen Handschriften auf schwarzem Pergament oder Papier entstanden wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts im Herzogtum Burgund. Auf dem schwarzen Untergrund wurde mit Silber- und Goldtuschen geschrieben und gemalt.

Abb. 1: Cod. 1856, Doppelfolio 95v – 87r, Silber- und Goldtusche auf schwarz gefärbtem Pergament, ohne Montierung.

Die Ausstattung des Stundenbuchs umfasst verzierte Initialen, Bildmedaillons im Bordürenschmuck, Kalenderbilder und Vollminiaturen.

Abb. 2: Cod. 1856, Folios 27v und 28r, Marienmesse, Titelminiatur Meßdarstellung, ohne Montierung.

Die 154 Pergamentblätter wurden in einen mit rotem Samt überzogenen Holzdeckel-Einband gebunden.

Abb. 3: Cod. 1856, Einband, Vorderdeckel, roter Samt über Holzdeckeln mit vergoldeten Silberappliken und Schließen.

Die Buchdeckel sind mit vergoldeten Silberappliken, Buckel und Flammenzungen verziert. Zwei Buchschließen mit Emaille-Bildern verbinden Vorder- und Rückendeckel. Der exklusive Stil der Handschrift ist typisch für die ästhetischen Vorlieben der Burgunderherzöge Philipp des Guten (1419–1467) und Karl des Kühnen (1433–1477). Der Kontrast von Silber und Gold auf Schwarz findet sich auch im Kleidungsstil der Herzöge und in ihrer Kunstsammlung.2

Die Provenienz des Stundenbuchs lässt viele Fragen offen. Es gibt keine schriftlichen Belege für die Herstellung in Brügge. Die Miniaturen können keinem Maler bzw. keiner Malerin eindeutig zugeordnet werden.3 Folio 1 trägt das Wappen des Galeazzo Maria Sforza, des V. Herzogs von Mailand (1444–1476). Das Wappenfrontispiz wurde wahrscheinlich nachträglich auf Folio 1 gemalt. Es ist nicht geklärt, wie die Handschrift von Brügge nach Mailand und von Mailand nach Wien kam. Der rote Samteinband und die Metalldekoration des Einbands werden in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts datiert. Die Folios wurden mit einem schwarzen Faden geheftet. Es gibt keine Hinweise auf eine zweite Heftung oder Neubindung. Michael Denis nahm das Stundenbuch erstmals 1795 in den gedruckten Katalog der Bibliothek auf.

Die besondere Ästhetik der Handschrift ist auch das Hauptproblem für ihre Erhaltung. Die Eisengallustinte, mit der das Pergament gefärbt wurde, baute die Pergamentfasern drastisch ab. Durch die verkürzten und gebrochenen Fasern verlor die ungegerbte Tierhaut ihre Flexibilität. Aufgrund des schlechten Zustands wurde 1928 die Bindung der Handschrift gelöst und ein erstes Teilfaksimile der 49 Folios mit Miniaturen hergestellt.4 Schäden am brüchigen Pergament wurden mit schwarzer Seidengaze restauriert. Folios und Einband werden seither getrennt aufbewahrt. 1975 wurden alle 154 Folios zwischen Acrylglasplatten montiert5 und vertikal in zwei Holzkisten und einem Metalltresor gelagert.

Abb. 4: Cod. 1856, Folios 32v und 33r, Beginn des Johannesevangeliums, Titelminiatur „Die vier Evangelisten“, zwischen Acrylglasplatten.

2023 wurde am Institut für Restaurierung der Österreichischen Nationalbibliothek mit der Untersuchung der Materialien begonnen, um den Zustand und den Bedarf an konservatorischen Maßnahmen einzuschätzen.6

Untersuchungen mit Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA) und mit Raman-Spektroskopie bestätigten, dass die Tierhäute mit Eisengallustinte gefärbt wurden, die Kupfer enthält.7 Pinselspuren zeigen, dass man die Tinte auf beiden Seiten des Pergaments mit dem Pinsel auftrug. Anschließend wurde das Pergament wahrscheinlich gespannt getrocknet, um es zu glätten. Das aus Kalbshäuten hergestellte Pergament ist sehr dünn und gleichmäßig gefertigt. Die Maße der Doppelfolios variieren zwischen 247 bis 252 mm in der Höhe und 170 bis 180 mm in der Breite.

Die Silber- und Goldtuschen sind von hoher Qualität und Reinheit. Mit RFA wurden nur geringe Mengen anderer Elemente identifiziert. Der Zustand der Tuschen ist generell stabil. Die Silberschrift zeigt nur geringe Spuren von sichtbarer Korrosion. Der Nachweis von Chlor mit RFA im Bereich der Silbertusche deutet auf chlorhaltige Korrosionsprodukte hin. Beim Buchschmuck trugen die Miniaturist*innen Pulvergold und -silber mit dem Pinsel auf. Maltechnische Rekonstruktionen legen nahe, dass die Künstler*innen Pulvergold und -silber aus Metallfolien herstellten. Bei den Initialen kombinierten die Schreiber*innen Blattgold über Gipsgrund mit Pinselzeichnungen (Titelbild). Die Metalloberflächen von Schrift, Zeichnungen und Glanzvergoldungen reflektieren das Licht unterschiedlich. Bei spärlicher Beleuchtung, wie bei Kerzenlicht, trat der unterschiedliche Glanz der Metalloberflächen beim Umblättern der Seiten stärker hervor. Der dunkle Untergrund verlieh Schrift und Miniaturen in Gold und Silber einen dreidimensionalen Effekt.8

Visuelle und fasermorphologische Untersuchungen ergänzt durch Rasterelektronenmikroskopie (REM) bestätigen, dass die Fasern des Pergaments stark abgebaut sind.9 Faserproben wurden im Durchlichtmikroskop und im Rasterelektronenmikroskop mit neuem und mit ungefärbtem Pergament aus dem 15. Jahrhundert verglichen.

Abb. 5: Pergamentfasern im Durchlichtmikroskop (Axiolab) 100x, Skala 0,1 mm: Kollagenfasern von neuem Pergament (links), Kollagenfaser von ungefärbtem Pergament des 15. Jahrhunderts (Mitte), Gelatinebündel von Cod. 1856 (rechts).

In Kontakt mit Feuchtigkeit schrumpfen die gefärbten Fasern von Codex 1856 zu Gelatinebündeln. Aus diesem Grund sind die Folios brüchig und kaum belastbar. Die Seiten mit Miniaturen weisen besonders starke Schäden und viele Fehlstellen auf, weil diese Seiten vermutlich häufiger betrachtet und ausgestellt wurden.

Die Lagerung zwischen Acrylglasplatten übt Druck auf das Pergament, die Tuschen und Pigmente aus. Durch die elektrostatische Anziehung des Glases können Teile des fragilen Pergaments und Farbpartikel an den Platten haften. Abbauprodukte der Eisengallustinte verdampfen nicht und reichern sich innerhalb der Montierung an. Die Vergilbung der Acrylglasplatten und ihr Glanz verändern das Erscheinungsbild der Folios.

Ein neues Konservierungskonzept sieht vor, die Platten zu öffnen und den Zustand beschädigter Folios zu stabilisieren. In einer Probekonservierung wurde die Acrylglas-Montierung zweier Doppelblätter abgenommen. Risse und gefährdete Fehlstellen im Pergament wurden mit schwarz gefärbtem, mit Klebstoff beschichtetem Japanseidenpapier lokal gesichert.

Abb. 6: Cod. 1856, Detail von Folio 87r, Sicherungen von Rissen und Fehlstellen mit schwarz gefärbtem Japanpapier.

Da das Pergament so wenig wie möglich mit Feuchtigkeit in Berührung kommen darf, kam ein Klebstoff zum Einsatz, der mit Ethanol aktiviert werden kann. Aus zwei Japanpapierumschlägen und einer Kartonmappe mit Abstandhalter wurde eine neue Aufbewahrung konstruiert, die Zugang zu beiden Seiten der Folios ermöglicht.

Abb. 7: Aufbewahrung eines Folios in zwei Japanpapierumschlägen und einer Kartonmappe mit Abstandhalter.

Die Montierung übt nur leichten Druck auf die Pergamentblätter aus und ist luftdurchlässig.

Am Institut für Restaurierung der Österreichischen Nationalbibliothek sind weitere Untersuchungen an den Pigmenten und am Einband geplant, um technologische Vergleiche mit den anderen schwarzen Handschriften herzustellen. In Experimenten mit Probekörpern aus schwarz gefärbtem Pergament soll geprüft werden, ob Einlagepapiere mit alkalischer Reserve und Antioxidantien einen stabilisierenden Effekt auf die Erhaltung der Eisengallustinte haben.10

Bei diesem Projekt arbeitet das Institut für Restaurierung mit Kolleg*innen des Instituts für Naturwissenschaften und Technologie in der Kunst (INTK) der Akademie der bildenden Künste11, des USTEM- die Elektronenmikroskopie der TU Wien12, der Università degli Studi del Piemonte Orientale13, der Königlichen Bibliothek Kopenhagen14 und der Universitätsbibliothek Lund15 zusammen. Beratungen erfolgen mit den anderen Sammlungen, die schwarze Handschriften aufbewahren,16 um die bestmöglichen Lösungen für die Erhaltung dieser seltenen Werke der Buchkunst zu finden.

Über die Autorin: Frau Mag. Christa Hofmann ist Leiterin des Instituts für Restaurierung der Österreichischen Nationalbibliothek.

Fußnoten:

1 Jenni, Ulrike und Dagmar Thoss: Das schwarze Gebetbuch (Gebetbuch des Galeazzo Maria Sforza), Codex 1856 der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien, Bd. Kommentarband, Frankfurt am Main: Insel Verlag 1982.

2 Boulboullé, Jenny und Sven Dupré: Burgundian Black: Reworking early modern colour technologies, Santa Barbara 2022, https://burgundianblack.tome.press/chapter/introduction/ (zugegriffen am 29.10.2024).

3 Jenni/Thoss: Das schwarze Gebetbuch (Gebetbuch des Galeazzo Maria Sforza), Codex 1856 der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien.

4 Smital, Ottokar: Das schwarze Gebetbuch des Herzogs Galeazzo Maria Sforza, Miniaturen, Wien: Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei 1930.

5 Irblich, Eva: „Die Konservierung von Handschriften unter Berücksichtigung der Restaurierung, Reprographie und Faksimilierung anhand von Beispielen aus der Handschriftensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek“, 'Codices manuscripti' 11/Heft 1 (1985), S. 15–32.

6 Hofmann, Christa und Junko Sonderegger, Birgit Hofer, Kathleen Mühlen Axelsson, Dorte Sommer, Karin Whitmore, Johannes Bernardi, Dubravka Jembrih-Simbürger, Federica Cappa, Maurizio Aceto: „The Black Hours: Material and Conservation Study, Part 1“, ‛Journal of Paper Conservation’, in print, https://doi.org/10.1080/18680860.2024.2420274

7 Dr. Dubravka Jembrih-Simbürger führte die Röntgenfluoreszenzanalysen durch und Dr. Federica Cappa die Raman-Spektroskopie, Institut für Naturwissenschaften und Technologie in der Kunst (INTK) der Akademie der bildenden Künste Wien.

8 Hartmann, Marie: „Schwarz vor Augen. Materialität und Medialität von gefärbten Stundenbüchern, Dissertation“, Berlin: Freie Universität Berlin 2024.

9 Dr. Kathleen Mühlen Axelsson, Leiterin der Abteilung Bestandserhaltung und Digitalisierung der Universitätsbibliothek Lund, bewertete die Fasermorphologie. Karin Whitmore betreute die Untersuchungen am Rasterelektronenmikroskop am USTEM der TU Wien.

10 Rouchon, Véronique u.a.: „The use of halide charged interleaves for treatment of iron gall ink damaged papers“, 'Polymer Degradation and Stability' 98/7 (07.2013), S. 1339–1347.

11 Dr. Dubravka Jembrih-Simbürger und Dr. Federica Cappa, INTK, Akademie der bildenden Künste Wien

12 Prof. Dr. Johannes Bernardi, USTEM, TU Wien

13 Prof. Dr. Maurizio Aceto, Dipartimento die Scienze e Innovazione Tecnologica, Università degli Studi del Piemonte Orientale, Alessandria, Italien.

14 Dr. Jiřì Vnouček, Abteilung für Konservierung, Königliche Bibliothek Kopenhagen, Dänemark.

15 Dr. Kathleen Mühlen Axelsson, Abteilung für Bestandserhaltung und Digitalisierung, Universitätsbibliothek Lund, Schweden.

16 Königliche Bibliothek Brüssel, Biblioteca Apostolica Vaticana, Morgan Library and Museum, Hispanic Society of America, Bibliothèque nationale de France, Bibliothèque municipale Rouen.

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