unter den schaffenden Tonkünstlerinnen der letzten Jahrzehnte die unbestritten führende Erscheinung

Im Jahr 1941 erging ein Aufruf an die Wiener Musikszene, sich aktiv um die Pflege des Erbes der mit 73 Jahren verstorbenen Komponistin Johanna Müller-Hermann zu bemühen. Er war von ihrer Schwester verfasst worden, der Sängerin und Komponistin Tona Hermann, und fand zahlreiche Unterstützer*innen. Mit Johanna Müller-Hermann war keine Unbekannte verstorben.

Johanna Müller-Hermann verkehrte mit der Musikelite ihrer Zeit in freundschaftlicher Verbundenheit und stand mit Alma Mahler, Alban Berg, Arnold Schönberg und vielen anderen herausragenden Persönlichkeiten in Kontakt. Und doch: Obwohl ihre annähernd 40 Werke fast alle im Druck erschienen und in dutzenden Konzerten aufgeführt wurden, müssen sie heute erst wiederentdeckt werden. Zwischenzeitlich waren sie von den Konzertpodien verschwunden.

Porträt von Johanna Müller-Hermann im Bildnisalbum zur Beethoven-Zentenarfeier 1927. Georg Fayer (1892–1950). (580555-F)

Unter musikalischen Geschwistern

Johanna Hermann, geboren 1868, wuchs als eines von drei Kindern des Beamten Alois Ritter von Hermann und der Sängerin Antonie Freiin von der Decken zu Himmelreich auf. Ihr wohlsituierter Hintergrund erlaubte Albert, Johanna und Antonia (genannt Tona) eine ausgezeichnete musikalische Ausbildung, die bei allen dreien auf fruchtbaren Boden fiel.

Die drei Geschwister Albert, Tona und Johanna Hermann. Der handschriftliche Eintrag stammt von Tona Hermann.

Als Johanna 9 Jahre alt war, etablierte ihr vier Jahre älterer Bruder einen Musiksalon in ihrem Zuhause im Schottenhof, veranstaltet vom Musikverein „Hermann“. Die Kinder musizierten fremde Werke, sie präsentierten aber auch Werke von Albert. Am Vorbild des älteren Bruders erlebten die Schwestern schon als Kinder die praktische Musikausübung, die Darbietung selbst komponierter Musik und auch die nötige soziale Trittsicherheit als Selbstverständlichkeit. Albert starb 1895 unerwartet mit nur 31 Jahren. Die Schwester Tona sollte sich zu einer anerkannten Sängerin entwickeln, die als Gesangspädagogin eine Reihe von Lehrwerken verfasste und Johannas Schaffen förderte.

Der von den Jugendlichen betriebene Musiksalon wurde professionell angekündigt.
Tona Hermann war Gesangslehrerin von Isolde Riehl, in deren Konzerttagebuch sie verewigt wurde. (F117.Riehl/1718)

Lernen und Lehren

Wie ihre Geschwister musste Johanna Müller-Hermann auf Wunsch des Vaters einen Brotberuf erlernen. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Lehrerin. Das erlaubte ihr eine solide musikalische Grundbildung bei dem Komponisten Rudolf Weinwurm. Danach hatte sie Unterricht bei Karel Navrátil und Josef Labor. Auf Empfehlung von Alma Mahler nahm sie ab 1907 Unterricht bei Alexander Zemlinsky, der sie bei Problemen mit der Komposition eines Streichquartetts unterstützen sollte.

Dieser Lebenslauf wurde vermutlich von Tona Hermann verfasst. (F111.121/1)

Im Jahr 1909 entstand ihr Streichquintett a-Moll, op. 7. Es gilt als spätromantisches Meisterwerk, wurde zu ihren Lebzeiten aber nicht gedruckt.

Autographe Violinstimme des Streichquintetts, op. 7 aus dem Jahr 1909. (F111.Müller-Hermann.76)

Streichquintett, op. 7. Pawel Zalejski, Song-Ha Choi, Klaus Christa, Danusha Waskiewicz, Kajana Pačko. Aufgenommen am 8. Mai 2021 im Pförtnerhaus Feldkirch/A, http://www.pforte.at.

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Streichquintett, op. 7. Pawel Zalejski, Song-Ha Choi, Klaus Christa, Danusha Waskiewicz, Kajana Pačko. Aufgenommen am 8. Mai 2021 im Pförtnerhaus Feldkirch/A, http://www.pforte.at.

Diese selbst gestaltete Form von Ausbildung formte auch ohne formalen Abschluss eine herausragende Komponistin. Das zeigt das besondere Verhältnis zu einem weiteren Lehrer, Josef Bohuslav Foerster, der Gustav Mahler nahestand. Der böhmische Komponist lebte von 1903 bis 1918 in Wien und unterrichtete am Neuen Wiener Konservatorium Musiktheorie und Komposition. Als er die Stelle verließ, schlug er Johanna Müller-Hermann als seine Nachfolgerin vor. Sie wurde die erste Professorin für Komposition im deutschen Sprachraum. Mit Foerster, der ab 1918 in Prag unterrichtete, blieb sie in Kontakt. Sie war schon in ihren Fünfzigern, erfolgreiche Komponistin und anerkannte Professorin – und doch spiegelt der Briefwechsel ihr anhaltendes Interesse an stetiger Weiterentwicklung wider.

Der Eintrag Johanna Müller-Hermanns in der Festschrift „25 Jahre Neues Wiener Konservatorium 1909–1934“. (235179-B, Musiksammlung)

Große Säle, große Verlage

Die Druckausgaben der Werke Müller-Hermanns waren Teil der bedeutenden Verlagsprogramme von Gutmann, Doblinger und Universal Edition. Das unterstreicht ihren Stellenwert als Komponistin in ihrer Zeit. Etliche Aufführungen fanden in Sälen des Konzerthauses und des Musikvereins statt, davon rund ein Dutzend im Großen Musikvereinssaal. Die Zusammenarbeit mit dem Philharmonischen Chor Franz Schrekers, der später in Berlin Lehrer von Grete von Zieritz werden sollte, führte beispielsweise zur Uraufführung der Symphonie, op. 27 im Großen Konzerthaussaal 1919. Das Lied der Erinnerung, op. 30 wurde 1930 im Großen Musikvereinssaal uraufgeführt. Es gibt wenige Komponistinnen der Zeit, denen diese Bühnen und so umfangreiche Ressourcen in Form von Chor und Orchester zur Verfügung standen.

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Entwurf der Titelgrafik für den Erstdruck der Symphonie, op. 27, gestaltet ca. 1919 von Clara Sulzer. (F111.Müller-Hermann.129-GF)
Kritiken zur Uraufführung der Symphonie, op. 27 aus dem Pressespiegel der Komponistin. (F111.Müller-Hermann.120)

Heroische Ouvertüre, op. 21. Mährische Philharmonie, Manfred Müssauer. Thorofon, 1995, CTH 2259. (CD3543, Musiksammlung)

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Heroische Ouvertüre, op. 21. Mährische Philharmonie, Manfred Müssauer. Thorofon, 1995, CTH 2259. (CD3543, Musiksammlung)

Im Jahr 1932 beendete sie ihre Tätigkeit am Konservatorium mit 64 Jahren. Sie blieb als Komponistin aktiv und gefragt, wie eine Reihe von Neudrucken älterer Werke zeigen. Im Jahr 1941 starb sie unerwartet in Wien.

Müller-Hermanns Öffentlichkeitsarbeit war ihr Leben lang von ihrer Schwester Tona Hermann begleitet worden. Diese kümmerte sich auch um ihr Erbe. Im Jahr 1961 formulierte sie kurz vor ihrem 90. Geburtstag ihre Gedanken, was mit dem Nachlass ihrer Schwester geschehen sollte. Deren Wunsch, dass er an das „Staatsarchiv“ kommen sollte, wollte sie zunächst übergehen. Letztendlich fand er doch seinen Weg in die Österreichische Nationalbibliothek.

Tona Hermanns Überlegungen zum Umgang mit dem Nachlass ihrer Schwester finden sich im Nachlass von Isolde Riehl. (F117.Riehl.961)

Werk

Das Werk Johanna Müller-Hermanns steht fest auf dem Boden der erweiterten Tonalität der Spätromantik, ohne sie in Richtung Moderne zu verlassen, ist dabei aber in der Tonsprache immer originell, unerwartet und tief durchdacht gearbeitet. Studienbücher dokumentieren ihre Auseinandersetzung mit den Spitzenleistungen romantischer Komposition ihrer Zeit.

Sie hinterließ 37 Opuszahlen, ein Werk, das fast alle gängigen Gattungen umfasst, darunter die Symphonie, op. 27 (1919), das Streichquartett Es-Dur, op. 6 (1908), eine Violin-, Klavier- und Cellosonate (op. 5, op. 8 und op. 17).

Müller-Hermanns größter Erfolg war die Uraufführung der lyrischen Kantate „Lied der Erinnerung“, op. 30. Dieses großdimensionierte Werk für Chor, vier Soli, Orchester und Orgel basiert auf einem Text von Walt Whitman und ist der Erinnerung an Abraham Lincoln gewidmet. Entsprechend diesem Inhalt, der auch Interesse in den USA wecken sollte, weitet Müller-Hermann ihre Tonsprache um Anklänge an die Musik nordamerikanischer Natives und gipfelt im Zitat der amerikanischen Hymne. Das Werk wurde im Großen Musikvereinssaal uraufgeführt.

Neben Chor- und Orchestermusik komponierte Müller-Hermann auch Kammermusik und Lieder. Allein das musikdramatische Fach ließ sie unbearbeitet.

Eines der erhaltenen Studienhefte von Johanna Müller-Hermann, hier zu Max Regers Variationen (nach 1914). (F111.Müller-Hermann.123/3)
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Die Uraufführung des „Lieds der Erinnerung“ fand 1930 unter Robert Heger statt. (F111.Müller-Hermann.119)
Aufgeführt im Rahmen der Abonnementkonzerte des Musikvereins, war ihr breite öffentliche Aufmerksamkeit gewiss.

Nachlass F111.Müller-Hermann: data.onb.ac.at/rec/AC13811404

Ann-Kathrin Erdèlyi: Johanna Müller-Hermann: Leben und Werk einer Wiener Komponistin, 1995. http://data.onb.ac.at/rec/AC01288097.

Erich Hermann und Christine Piswanger-Richter: Was? Eine KomponistIN? www.blog.der-leiermann.com/johanna-mueller-hermann/

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