Plansprachen und Sprachplanung

Forschung

12.12.2019
Geschichte der ÖNB, Plansprachen
Acht Kreise mit grünen Sternen in der Mitte bilden einen quadratischen Rahmen, und in der Mitte steht die Zahl 90. Die grünen Sterne sind das traditionelle Esperantosymbol
90 Jahre Esperantomuseum

Autor: Bernhard Tuider 

Unter dem Titel Planned Languages and Language Planning fand am 24. und 25. Oktober 2019 ein wissenschaftliches Symposium in der Österreichischen Nationalbibliothek statt. Sechzehn renommierte internationale ExpertInnen präsentierten in acht Themenblöcken ihre Forschungen und Publikationen, die auch das Sammelspektrum des Esperantomuseums widerspiegeln. Die Themen reichten von den Chancen und der Vielfalt von Sprachmuseen über Plansprachen und Sprachplanung bis zu Geschichte und Gegenwart von Esperanto.

Abb. 1: Programm Planned Languages and Language Planning, 24. Oktober 2019

Im ersten Themenblock, Language Museums, sprach Ottar Grepstad, der ehemalige Direktor (1999–2018) des » Ivar Aasen-tunet in Ørsta und Gründer des International Network of Language Museums, über Language Museums of the World: Change, Diversity and Opportunities. Während seiner Recherchen in den vergangenen zehn Jahren hat Ottar Grepstad weltweit 80 Sprach(en)museen ausfindig gemacht und in dem Band » Language Museums of the World (2018) dokumentiert. Grepstad gab in seiner Präsentation einen Überblick über diese Museen und erklärte u.a., auf welche Art und Weise sich die verschiedenen Museen mit der Sprachenvielfalt auseinandersetzen.

Anschließend präsentierte Bernhard Tuider, der Teamleiter der » Sammlung für Plansprachen und des » Esperantomuseums der Österreichischen Nationalbibliothek, die » Geschichte, den » Bestand und die Projekte der Sammlung.

Der zweite Themenblock, Planned Languages – Conlangs, begann mit einer Präsentation von Sabine Fiedler, Professorin am Institut für Anglistik der Universität Leipzig und Vorsitzende der » Gesellschaft für Interlinguistik e. V., zum Thema Planned Languages – Conlangs. Sabine Fiedler präsentierte zahlreiche Plansprachen, ausgehend von einer Gliederung in zwei Bereiche: Sprachen, die nach bestimmten Kriterien bewusst geschaffen werden, um die internationale Kommunikation von Menschen unterschiedlicher Muttersprache zu vereinfachen (z.B. Volapük von J.M. Schleyer, Esperanto von » L.L. Zamenhof, Ido von L. Couturat und L. de Beaufront sowie Interlingua von A. Gode) und Sprachen, die entstehen , um Fantasy-Literatur und Science-Fiction-Filmen „Leben“ und „Authentizität“ zu verleihen (z.B. Sindarin von J.R.R. Tolkien, Klingonisch von M. Okrand und Dothraki von D.J. Peterson). Dass die Kreation von Sprachen für Romane, Filme, Computerspiele und andere Zwecke mittlerweile ein produktives Feld geworden ist, zeigen u.a. die Aktivitäten der » Language Creation Society.

Anna-Maria Meyer, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Slavischen Institut der Universität zu Köln, gab in ihrer Präsentation Slavic Planned Languages einen umfangreichen Überblick über slawische Plansprachen von Juraj Križanić’s Ruski jezik (1666), über Ignaz Hošeks » Neuslavische Sprache bis zu Slovianski (2006), das 2011 mit zwei anderen Sprachprojekten zu Interslawisch „fusionierte“, und u.a. in dem Oscar-nominierten Film » The Painted Bird (2019) als einzige Sprache verwendet wird.

Im dritten Themenblock, Language Planning, sprach Tomasz Kamusella, Professor für Neuere Geschichte an der University of St Andrews (Schottland), über Creating Languages in Central Europe in the 19th and 20th Century. Kamusella argumentierte, dass in der Gegenwart die meisten Standardsprachen – im Sinne von „Einzelsprachen“ – in Europa kein Ergebnis einer „natürlichen Entwicklung“ darstellen, sondern im 19. und 20. Jahrhundert im Kontext ihrer Verschriftlichung und nationaler Aspirationen durch bestimmte Planungen und Normierungen entstanden sind. Insofern unterscheiden sich diese Sprachen nicht allzu sehr von Esperanto, das aus dieser Perspektive ebenso als europäische „Einzelsprache“ angesehen werden kann.

Klaus Schubert, Professor für Angewandte Linguistik und Fachkommunikation an der Universität Hildesheim, sprach anschließend über Designed Languages for Communicative Needs within and between Language Communities. Klaus Schubert erläuterte in seinem Vortrag, dass auch so genannte natürliche Sprachen bewusst gestaltet sein können. Als Beispiele nannte er die „Einfache Sprache“, in der Texte für Menschen mit geringen Lesefähigkeiten geschrieben werden; die „Bürgernahe Sprache“, die von VerwaltungsmitarbeiterInnen verwendet wird, um mit der Öffentlichkeit oder mit einzelnen BürgerInnen zu kommunizieren und in ihrem Vereinfachungsgrad sowie ihrer Zielsetzung der einfachen Sprache stark ähnelt; die „Leichte Sprache“, die deutlich stärker vereinfacht und sehr viel stringenter geregelt ist als die einfache und die bürgernahe Sprache; oder die „Regulierte Sprache“, die primär für die technische Dokumentation verwendet wird.

Der erste Tag des Symposiums endete mit einem Themenblock über Planned Languages and Language Planning – Biographies. Michael Gordin, Rosengarten Professor of Modern and Contemporary History und Director of the Society of Fellows in the Liberal Arts at Princeton University, sprach über Max Talmey and Gloro. Michael Gordin skizzierte die facettenreiche Biographie des Ophthalmologen und Interlinguisten » Max Talmey, v.a. seine Verbindung zu Albert Einstein und seine Arbeit an der Plansprache Gloro, von der Talmey meinte, dass durch sie Einsteins Relativitätstheorie besonders gut und verständlich erklärbar wäre.

Vesna Lušicky, Senior Lecturer am Zentrum für Translationswissenschaft der Universität Wien, präsentierte in ihrem Vortrag Eugen Wüster and his “Key to International Terminology” » Wüsters Projekt zu einem internationalen Terminologieschlüssel, an dem er ab den 1930er Jahren bis zu seinem Ableben 1977 arbeitete.

Abb. 2: Programm Planned Languages and Language Planning, 25. Oktober 2019

Der zweite Tag des Symposiums begann mit zwei Präsentationen zum Thema Esperanto – Origins. Zunächst präsentierte Denis Eckert, Professor am Centre national de la recherche scientifique (Paris) und am Centre Marc Bloch (Berlin), in seinem Beitrag Dr. Esperanto’s “International Language”: the Fifteen Languages of a Universalist Manifesto (1887–1890) einen Vergleich der verschiedenen Sprachversionen des ersten Esperanto-Lehrbuches » „Internationale Sprache“.

Danach erläuterte Roberto Garvía, Professor für Soziologie am Departamento de Ciencias Sociales der Universidad Carlos III in Madrid, in seiner Präsentation Esperanto and its Rivals. Esperanto – Volapük – Ido, weshalb gerade am Ende des 19. Jahrhunderts die Zahl der Plansprachen rasch zunahm und Esperanto unter diesen Projekten innerhalb kurzer Zeit das erfolgreichste wurde.

Im nachfolgenden Themenblock, Esperanto – Biographies, veranschaulichte Javier Alcalde, Professor für Politikwissenschaften und Internationale Beziehungen an der Universitat Oberta de Catalunya und an der Universitat Autònoma de Barcelona in seinem Vortrag Esperanto among the Pacifists before and during World War I, dass Esperanto bereits am Beginn des 20. Jahrhunderts nicht nur von » PazifistInnen als Mittel zur internationalen Kommunikation verwendet wurde, sondern auch von zahlreichen Mitgliedern anderer sozialer Gruppen – z.B. Eisenbahnern, Ärzten, Vegetariern, Freimaurern, Katholiken und Pfadfindern.

Anschließend sprach Humphrey Tonkin, President Emeritus und Professor of the Humanities Emeritus an der University of Hartford (USA), über Gyula Baghy, » Kálmán Kalocsay und Tivadar Soros: » Literatura Mondo and the Making of Esperanto Literature und die große Bedeutung dieser drei Schriftsteller sowie der Zeitschrift Literatura Mondo für die literarische Kontinuität und den poetischen Fortschritt der original in Esperanto verfassten Literatur.

Der nächste Themenblock, Esperanto – Research Projects, widmete sich aktuellen Forschungsprojekten. Zorana Sokolovska, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Mehrsprachigkeit der Universität Freiburg (Schweiz) präsentierte ihr Projekt Esperanto Discourse in Switzerland in the Beginning of the 20th Century, in dem sie sich vor allem mit dem Esperanto-Diskurs in der Schweiz am Beginn des 20. Jahrhunderts im Kontext der Entstehung des Schweizer Bundesstaates auseinandersetzt.

Danach stellte Pascal Dubourg Glatigny, Professor am Centre Alexandre-Koyré (Paris), das Projekt » Esperanto and World War II vor, im Rahmen dessen ein internationales Forscherteam verschiedener Fachrichtungen auf der Basis von schriftlichen und mündlichen Quellen in Esperanto nach den transnationalen Wahrnehmungen zum Zweiten Weltkrieg fragt. Dabei eröffnet der Esperanto-Quellencorpus, der sich zum Großteil in der Sammlung für Plansprachen befindet, eine besondere Perspektive auf den Zweiten Weltkrieg und eine außergewöhnliche Möglichkeit, Praxen abseits von nationalen Institutionen und imperialen Visionen zu analysieren.

Im achten Themenblock, Esperanto in the 21st Century – Language and Globalization, erläuterte Federico Gobbo, Professor für Interlinguistik und Esperanto an der Universiteit van Amsterdam, in seiner Präsentation Hollywood Languages: The Challenge of Interlinguistics in the New Millenium, die verschiedenen Definitionen des Begriffs Interlinguistik, die seit seiner ersten Verwendung, 1911 durch Jules Meysmans, entstanden sind, und plädierte für eine Einbeziehung sogenannter „Hollywood Sprachen“ bzw. fiktionaler Plansprachen als Gegenstand der Interlinguistik.

Abschließend sprach Seán Ó Riain, Vizebotschafter der Republik Irland in Österreich und Vorsitzender der Europäischen Esperanto-Union (EEU), über Esperanto and the European Union. Seán Ó Riain präsentierte aktuelle Aktivitäten der EEU und thematisierte Einstellungen von EU-Staaten bzw. Politikern gegenüber der Sprache Esperanto. Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen, dass es innerhalb der EU nach wie vor zahlreiche Vorurteile und Vorbehalte gegenüber Esperanto gibt, die das Faktum ignorieren, dass Esperanto seit mehr als 130 Jahren von einer weltweiten Community verwendet wird. Gleichzeitig findet Esperanto aber auch zunehmend politische Anerkennung. So haben Polen und Kroatien 2014 bzw. 2019 Esperanto als immaterielles Kulturerbe ihres Landes anerkannt.

Über den Autor: Mag. Bernhard Tuider ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Sammlung für Plansprachen der Österreichischen Nationalbibliothek.

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