Der Indianer auf dem Himmelsglobus

Forschung

01.06.2017
Karten
Zeichnung von Mann mit Federn am Kopf, Pfeil und Bogen
Ein Sternbild wandert von der Alten in die Neue Welt. Die südpolare Sternkonstellation des „Indus“ erinnert in den ersten Darstellungen an Abbildungen asiatischer Ethnien und sollte erst viel später mit dem charakteristischen indianischen Federschmuck die Neue Welt Amerika symbolisieren.

Autor: Jan Mokre 

Erd- und Himmelsgloben sind seit der Antike bekannte dreidimensionale kartographische Ausdrucksformen, Modelle der Erdkugel und der diese scheinbar umgebenden Himmelssphäre. In der Frühen Neuzeit entwickelten sich Globen speziell zu Repräsentationen des sogenannten Zeitalters der Entdeckungen. Ihre Bildwelten und die auf ihnen wiedergegebenen, teilweise umfangreichen Texte repräsentieren gesellschaftlich relevante Erzähl- und Erinnerungsräume, auch und insbesondere in Bezug auf das sogenannte Zeitalter der Entdeckungen und die europäische Expansion nach Übersee. Sich mit Karten und Globen – so wie mit aus den Neuen Welten stammenden Objekten – zu umgeben, wurde eine Mode gesellschaftlicher Eliten.

Himmelsgloben sind kugelförmige Modelle des die Erde scheinbar umgebenden Firmaments, die mit einem Kartenbild versehen sind. Dieses Kartenbild weist neben den Positionen der Himmelskörper und astronomischer Phänomene sowie den wichtigsten kartographischen Elementen, wie zum Beispiel zwei Koordinatensysteme (Ekliptikalsystem und Äquatorialsystem), seit dem Altertum bildliche Darstellungen auf, die nahe beieinander positionierte Sterne zu Sternbildern zusammenfassen und figurativ wiedergeben. Diese bebilderten Himmelsgloben stellen sphärische Projektionsflächen dar, die ihre Betrachter einerseits mit der sie umgebenden Natur und andererseits mit ihrer Kultur verbinden (Fesl 2013: 74). Der Kanon der Sternbilder wurde im Laufe der Jahrhunderte verändert – alte Konstellationen verschwanden, neue wurden eingeführt – und ihre bildlichen Darstellungen unterlagen einem stilistischen Wandel.

Seit der Frühen Neuzeit finden sich auf Himmelsgloben Bezüge zum Zeitalter der Entdeckungen und zur europäischen Expansion. Durch italienische, englische, spanische und portugiesische Seeleute gelangten im 15. und 16. Jahrhundert erste Informationen über südpolare Sterne nach Europa, die zuvor auf den nördlichen Breiten nicht gesehen werden konnten und daher auch nicht bekannt waren (Dekker 1987b: 211-230, 212). Diese wurden nun zu zwölf neuen Sternkonstellationen zusammengefasst, benannt und visualisiert. Die Mehrzahl dieser südpolaren Sternbilder trägt, ihre Entstehungszeit repräsentierend, Bezeichnungen, die im Zusammenhang mit den europäischen Seefahrten nach Übersee stehen.

Eine erste Veröffentlichung erfolgte auf einem Himmelsglobus, den der niederländische Astronom, Geograph und Kartograph Petrus Plancius (1552–1622) 1597/1598 gemeinsam mit dem flämischen Kartographen und Verleger Jodocus Hondius d.Ä. (1563–1612) anfertigte (Dekker 1987a: 439-470, 441; Van der Krogt 1991: 154). In diesem speziellen Fall war der Globus das erste Medium mittels dessen neue wissenschaftliche Erkenntnisse und deren intellektuelle Verarbeitung publiziert wurden.

Mit ihren Bezügen auf die europäische Expansion nach Übersee, speziell nach Südostasien und Amerika, eröffneten die neuen Sternbilder – im Vergleich zu den alten Konstellationen – neue Erzähl- und Erinnerungsebenen. Während die klassischen Sternbilder antike Mythen repräsentieren, in denen die Figuren von den Göttern an den Himmel versetzt wurden (auf dem Globus wird also der ‚tatsächliche‘ Himmel bildlich wiedergegeben), beziehen sich die neuzeitlichen Sternbilder auf Ereignisse und Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit – vollkommen losgelöst vom Himmel als dem die Erde umgebenden Raum.


Abb. 1: Das Sternbild des Indianers mit Federschmuck taucht erst in der 1. Hälfte des 18. Jahrhundert auf Sternkarten und Himmelsgloben auf (Detail aus Doppelmayr, Johann Gabriel: Globi Coelestis in Tabulas Planas redacti Pars VI.- Nürnberg, Homann nach 1730). 

Eines der neuen Sternbilder war der ‚Indianer‘ (Indus). Dieser symbolisiert, den gängigen Sternbildverzeichnissen zufolge, die Neue Welt – also Amerika (Allen 1963; Warner 1979: xii u.a.). Dabei scheint es sich jedoch um eine Fehlinterpretation zu handeln. Zwar wird der Indianer auf Himmelskarten und -globen oft mit einem Amerika symbolisierenden, charakteristischen Federschmuck wiedergegeben, nicht jedoch auf den frühesten bildlichen Darstellungen des Sternbilds. Auf dem 1597/1598 von Plancius und Hondius geschaffenen Himmelsglobus ähnelt der „Indus“ sehr stark dem Abbild eines Einheimischen Madagaskars aus dem 1598 publizierten, illustrierten Bericht von der ersten niederländischen Handelsexpedition nach Ostasien (Lodewijcksz 1598: 6r).  Und die von der Plancius/Hondius-Version verschiedene Figur auf dem 1602 veröffentlichten Himmelsglobus von Willem Janszoon Blaeu sieht mit ihrer charakteristischen Haartracht den Männern aus Cochin (an der Westküste Südindiens) in der illustrierten Reisebeschreibung des Balthasar Springer,[1] den Bewohnern von Gilolo (Halmahera) auf den Molukken, bildlich wiedergegeben im Album di desegni indiani in der Biblioteca Casanatense in Rom (Massing 2007: 39-43, 108f)[2] und auch den Bewohnern der Westküste Indiens (Goa und Cochin) im illustrierten Bericht des Jan Huygen van Linschoten („Itinerario“, 1596) über seinen mehrjährigen Aufenthalt in Portugiesisch Indien (Linschoten 1596) [3] wesentlich ähnlicher als zeitgenössischen Darstellungen amerikanischer Indianer (Sloan 2007).


Abb. 2: Der Mann aus Cochin (Südindien) diente als Vorlage für das Sternbild des „Indus“ auf frühen Himmelsgloben (Burgkmaier d. Ä., Hans: India Maior. In: Balthasar Springer, Die Merfahrt … - Oppenheim 1509).

Das deutet darauf hin, dass sowohl Plancius und Hondius als auch Blaeu auf ihren Himmelsgloben einen Madagassen bzw. einen Inder, nicht aber einen amerikanischen Indianer, darstellten. [4]

Über den Autor: Mag. Jan Mokre ist Direktor der Kartensammlung und des Globenmuseums der Österreichischen Nationalbibliothek.

Literatur:

Allen, Richard Hinckley (1963): Star Names. Their Lore and Meaning, New York: Dover Publications [erstmals 1899 unter dem Titel “Star-Names and Their Meanings” veröffentlicht]

Elly Dekker (1987a): Early Explorations of the Southern Celestial Sky, in: Annals of Science 44

Elly Dekker (1987b): On the Dispersal of Knowledge of the Southern Celestial Sky, in: Der Globusfreund. Wissenschaftliche Zeitschrift für Globen- und Instrumentenkunde 35-37, 1987

Fesl, Teresa (2013) : Die Ordnungen des Himmelsraums. Analyse der Raumstrukturen des globus coelestis anhand der beiden Himmelsgloben Amanzio Moroncellis (1713) und Johann Gabriel Doppelmayrs (1730), Universität Leipzig, Masterarbeit

Linschoten, Jan Huygen van (1596): Itinerario. Voyage ofte Schipvaert van Jan Huygen van Linschoten near Oost ofte Portugaels Indien …, Amsterdam, mehrere Kupferstiche ohne Paginierung. Vgl. auch die Darstellung „The King of Cochin“ auf dem Titelblatt der englischen Ausgabe Linschoten, Iohn Hvighen van(1598): His Discours of Voyages into ye Easte & West Indies …, London: John Wolfe.

Lodewijcksz, Willem (1598): Descriptio itineris navalis in Indiam orientalem earumque, rerum qua navibus Battavis occurerunt […], Amsterdam: Cornelius Nicolaus

Massing, Jean Michel (2007): From Moluccas to Kunstkammer. Ethnographic Collecting from the 16th to the Early 18th Century, in: Jay A. Levenson (Hg.), Encompassing the Globe. Portugal and the World in the 16th & 17th Centuries. Essays, Washington, DC: Arthur M. Sackler Gallery, Smithsonian Institution

Sloan, Kim (2007): A New World. England’s first view of America, London: British Museum Press

Van der Krogt, Peter (1993): Globi Neerlandici. The Production of Globes in the Low Countries, Utrecht

Warner, Deborah (1979): The Sky Explored. Celestial Cartography 1500-1800, New York: Liss

[1] Bildzyklus mit Text und Holzschnitten von Hans Burgkmair d.Ä. 1508, 2. Auflage 1511, ausführlicher veröffentlicht als Buch: Springer, Balthasar (1509): Die Merfart und erfarung nüwer Schiffung vnd Wege zu viln onerkanten Inseln vnd Kunigreichen …, s.l. [Oppenheim]: Jakob Köbel, mit Illustrationen nach Hans Burgkmair d. Ä., sowie von Hans Burgkmair d. Ä. in Holz geschnitten als Teil des Triumphzugs Kaiser Maximilian I. mit dem Titel „kalikutisch leut“, erstmalig gedruckt 1526. Diese Holzschnitte dienten als Vorlagen für zahlreiche weitere bildliche Darstellungen süd- und südostasiatischer Völker im 16. Jahrhundert.

[2] Der in der Mitte des 16. Jahrhunderts entstandene Bildzyklus ist auch bekannt als Codex Casanatense.

[3] Mehrere Kupferstiche ohne Paginierung. Vgl. auch die Darstellung „The King of Cochin“ auf dem Titelblatt der englischen Ausgabe Linschoten, Iohn Hvighen van(1598): His Discours of Voyages into ye Easte & West Indies …, London: John Wolfe.

[4] Die auf den Globen verwendeten Termini bezeichnen in Niederländisch (Indiaen) wie auch in Latein (Indus) jeweils sowohl einen asiatischen Inder als auch einen amerikanischen Indianer.

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