Autorin: Michaela Pfundner
Abb. 1: Großformatiger Salzpapierabzug mit Ansicht der Rotenturmbastei und des Rotenturmtores vor Beginn der Schleifung der Stadtmauer. Aufgenommen von einem Eckturm der Franz-Joseph-Kaserne, Ende März 1858
Nach der ersten Türkenbelagerung 1529 wurden die mittelalterlichen Mauern Wiens durch Basteianlagen ersetzt, mit Gräben und einer aus militärischen Gründen unverbauten Wiesenfläche, dem Glacis, das seit dem späten 18. Jahrhundert mit Bäumen bepflanzt war.
Über Jahrhunderte dienten die Basteien und das davorliegende Glacis als beliebtes Erholungsgebiet für die BewohnerInnen Wiens. Die hohen Mauern der Befestigungen ermöglichten einen guten Ausblick, aus den Vorstädten bot sich umgekehrt ein beeindruckendes Panorama der von den mächtigen Basteien umgebenen Stadt.
Während der Napoleonischen Kriege 1809 wurden die Burgbastei und das alte Burgtor gesprengt. 1824 kam es zur Errichtung eines neuen äußeren Burgtores, aber eine neue Bastion erschien auch aus militärischen Überlegungen sinnlos. Die freie Fläche, der heutige Heldenplatz, wurde eingeebnet und lädt seither als Parkanlage zum Flanieren ein.
Bereits zu dieser Zeit existierten Pläne zur Erweiterung der Inneren Stadt, etwa vom Architekten Ludwig Förster, die aber nicht über das Papierstadium hinausgingen und unter anderem am Widerstand des Militärs scheiterten.
1850 verschmolzen die Stadt und die Vorstädte zu einer administrativen Einheit, die Basteien wurden nun zunehmend als Verkehrshindernis empfunden.
Aufgrund des kaiserlichen Handschreibens vom 20. Dezember 1857 über die geplante Erweiterung der Inneren Stadt Wien kam es zu einem Wettbewerb, an dem die renommiertesten Architekten teilnahmen. In diesem Schreiben wurde sehr detailliert auf die zu berücksichtigenden öffentlichen Bauwerke der künftigen Ringstraße eingegangen. Von den insgesamt 85 anonym eingereichten Entwürfen wurden die Projekte von Friedrich Stache, Ludwig Förster und von August von Sicardsburg / Eduard van der Nüll als die besten drei ausgezeichnet.
Da keines der eingereichten Projekte allen Anforderungen der Ausschreibung gerecht wurde, kam es zur Umsetzung der geeignetsten Entwürfe und Ideen aus allen drei prämierten Einzelprojekten. Im September 1859 wurde dieser „allerhöchste Grundplan“ von Kaiser Franz Joseph genehmigt.
Bis zur Vorlage dieses Grundplans gab es allerdings kein Konzept zur projektierten Stadterweiterung. Trotzdem wollte man durch rasches und entschiedenes Vorgehen das Interesse der Bevölkerung an der Stadterweiterung wecken und sich die Unterstützung der Presse sichern.
Bereits Mitte Februar 1858 lag ein Gutachten über die Demolierung des Rotenturmtors und der Rotenturmbastei vor. Es gibt einige entscheidende Gründe, warum man sich für einen Auftakt an diesem Ort entschieden hatte. Einerseits entsprach der Weg von der Rotenturmstraße gegen das Rotenturmtor über die Ferdinandsbrücke (heute Schwedenbrücke) Richtung Jägerzeile (heute Praterstraße) schon lange nicht mehr den Verkehrsanforderungen – vor allem in den Frühlingsmonaten, wenn die „Praterfahrten“ begannen, andererseits erwartete man hier nur geringe technische Schwierigkeiten, der Verkehr sollte durch die Demolierungsarbeiten möglichst wenig gestört und die Erdbewegungen auf ein Mindestmaß reduziert werden. Und als weiterer wichtiger Grund wurde die Unabhängigkeit vom zu erstellenden Grundplan angeführt.
In einer kaiserlichen Entschließung vom 8. März 1858 wurde die Genehmigung zur Durchführung dieser Arbeiten erteilt. Bereits zwei Tage später veröffentlichte man die Ausschreibung, am 25. März wurde der Vertrag mit Baumeister Franz Ram unterzeichnet. Am 29. März begann die Demolierung der Bastei mit etwa 150 Arbeitern unter reger medialer Beteiligung und weiterer kontinuierlicher Begleitung durch die Tagespresse.
„Die Mauern, die so fest und unterschüttert dastanden, als wollten sie Jahrhunderten trotzen, fallen und zwar nicht unter dem zerstörerischen Zahne der Zeit, sondern unter dem Willen eines weisen energisch handelnden Monarchen“ (Vorstadt-Zeitung, 30. März 1858).
Auch viele Schaulustige wurden durch die ersten Demolierungsarbeiten angelockt, sodass Zäune aufgestellt werden mussten, damit die Arbeiter nicht von den ZuschauerInnen behindert wurden.
Abb. 3: Figaro 7.4.1858, Titelseite
Zu Beginn der Demolierungsarbeiten kam es zu Engpässen bei den Fuhrwerken und aus diesem Grund zu hohen Geldforderungen der Fuhrleute, die den Bauschutt eigenhändig auf die Wägen schaufeln mussten.
Der Direktor der k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alois Auer (ab 1860 Ritter von Welsbach) wurde kurz vor dem Abriss der Befestigungen beauftragt, die Stadtmauern und Stadttore fotografisch dokumentieren zu lassen. So entstanden beeindruckende Zeugnisse der noch von Festungsmauern umgebenen Stadt, wie das » Objekt des Monats August: ein großformatiger Salzpapierabzug mit Ansicht der Rotenturmbastei und des Rotenturmtores vor Beginn der Schleifung der Stadtmauer (Abb.1). Dies war die erste fotografische Technik, die es ermöglichte, eine praktisch unbegrenzte Anzahl von Abzügen vom Papier- bzw. ab 1851 vom Glasnegativ anzufertigen. Dieses Negativ/Positiv-Verfahren stand damit in Gegensatz zur Daguerrotypie, mit der immer nur ein Einzelstück hergestellt werden konnte.
Durch die Möglichkeit, Kopien herzustellen, wurde die Fotografie zu einem Massenmedium. Dieses Verfahren aus der Frühzeit der Fotografie verwendete allerdings lichtempfindliches Papier, das sehr heikel ist und schnell zum Vergilben bzw. Verblassen neigt. Deshalb gehören Salzpapierabzüge zu den wertvollsten fotografischen Zeugnissen.
Der Fotograf, wahrscheinlich mit dem Namen Georg (?) Hakel, stand mit Kamera und Stativ auf einem der Ecktürme der Franz-Josef-Kaserne und schuf mit diesem und weiteren Fotos, die regelmäßig den Baufortschritt von immer gleichem Standpunkt zeigen, eindrucksvolle Zeugnisse dieses großen Bauvorhabens. Wie im Zeitraffer schauen wir dem Verschwinden der alten Festungsmauern zu, sehen die Arbeiter bei ihren anstrengenden Abbrucharbeiten, feiern mit Kaiser Franz Joseph die Eröffnung des Kais und können im Juni 1858 bereits auf den fertig trassierten Franz-Josefs-Kai blicken.
Für die Arbeiten wurden vorwiegend Taglöhner beschäftigt, meist Wanderarbeiter aus Böhmen, Mähren und der Slowakei. Die Demolierungsarbeiten (Abb. 4) waren körperlich sehr fordernd und durch die hohe Staubbelastung gesundheitsgefährdend. Die tägliche Arbeitszeit der an der Abtragung der Stadtmauern beschäftigten Arbeiter betrug bis zu 18 Stunden, oft wurde noch um Mitternacht bei Fackelbeleuchtung mit Krampen und Schaufel demoliert.
Abb. 4: Rotenturmbastei. Blick von der Franz-Joseph-Kaserne auf die Demolierungsarbeiten, April 1858
Es kam auch zum Einsatz von Sprengpulver und Schießbaumwolle, diese zeitigten aber nicht immer den gewünschten Erfolg. Durchgeführt wurden diese Sprengungen meist in den frühen Morgenstunden, ebenfalls begleitet von ausführlichen Zeitungsberichten und zahlreichen Schaulustigen.
Bereits am 1. Mai 1858 – also nur knapp einen Monat nach Beginn der Demolierungsarbeiten – wurde das erste Teilstück der Ringstraße, der sogenannte Franz-Josefs-Kai, durch den Kaiser und Initiator der Stadterweiterung feierlich eröffnet. Eine breite, bereits provisorisch gepflasterte Straße führte die kaiserliche Kutsche zur Ferdinandsbrücke. Eine begeisterte Menschenmenge säumte die Straßen und auch das gegenüberliegende Ufer des Donaukanals. Für die geladenen Gäste wurden Holztribünen aufgestellt.
Obelisken wurden mit Reisig geschmückt und mit Fahnen verziert, Girlanden zierten bunt bewimpelte Stangen. Um 15.30 traf das kaiserliche Paar ein und wurde von Innenminister von Bach und dem Wiener Bürgermeister Seiller begrüßt.
Abb. 5: Eröffnung des Franz-Josefs-Kais, 1. Mai 1858
Bei dieser Gelegenheit nahm Kaiser Franz Joseph auch ein Portefeuille fotografischer Ansichten der früheren Bastei vor und während der Demolierung entgegen.
Auch die Eröffnung des Franz-Josefs-Kais wurde fotografisch vom gleichen Standpunkt der Franz-Joseph-Kaserne festgehalten (Abb. 6). Der schon genannte Fotograf Hakel von der Staatsdruckerei nahm laut Zeitungsberichten allerdings auf dem Rotenturmtor Aufstellung, um von dieser Warte aus die Feierlichkeiten aufzunehmen.
Abb. 6: Feierliche Eröffnung des Franz-Josefs-Kais, 1. Mai 1858
Danach setzten Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth ihren Weg zum obligaten Saisonauftakt in den Prater fort und der Kai wurde für Wägen und Fußgänger freigegeben.
Erst nach dieser provisorischen Eröffnung wurde das Rotenturmtor demoliert, die Arbeiten am jetzt neu benannten Franz-Josefs-Kai dauerten noch bis 12. Juni 1858.
Abb. 7: Franz-Josefs-Kai. Blick von der Franz-Joseph-Kaserne auf den bereits trassierten Kai, das Rotenturmtor wurde schon geschleift, Juni 1858
Bei der Eröffnung der Ringstraße am 1. Mai 1865 war nur der Umkreis vom Burgtor bis zum ehemaligen Stubentor vor allem mit Privathäusern verbaut. Die anderen Bereiche der Ringstraße waren zwar trassiert und mit Bäumen bepflanzt, aber es gab noch große Baulücken. Die heute bekannten Prachtbauten wie Parlament, Burgtheater, Rathaus und Universität waren noch nicht errichtet, da der Paradeplatz am Josefstädter Glacis vom Militär nicht zur Bebauung freigegeben wurde. Die Ringstraße blieb noch über Jahrzehnte hinweg eine Großbaustelle.
Über die Autorin: Mag. Michaela Pfundner ist stellvertretende Leiterin des Bildarchivs und der Grafiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek.
Literatur:
Alfred Fogarassy (Hg.) (2014): Die Wiener Ringstraße. Ostfildern
Wolfgang Kos (Hg.) (2004): Alt-Wien: die Stadt, die niemals war. Wien
Andreas Nierhaus (Hg.) (2015): Der Ring. Pionierjahre einer Prachtstraße. St. Pölten, Salzburg, Wien
Michaela Pfundner (Hg.) (2015): Wien wird Weltstadt. Die Ringstraße und ihre Zeit. Wien
Harald Stühlinger (Hg.) (2015): Vom Werden der Wiener Ringstraße. Wien
Zeitungen (» ANNO), u.a. Wiener Zeitung Morgen-Post, Vorstadt-Zeitung (März bis Mai 1858)
Wiener Kommunal-Kalender und städtisches Jahrbuch (1863)
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