but I’m not / a concrete pot

Forschung

12.10.2017
Literatur
Ernst Jandl
Der Briefwechsel zwischen Ernst Jandl und Ian Hamilton Finlay im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek und als Buch

Autorin: Vanessa Hannesschläger

Ian Hamilton Finlay und Ernst Jandl waren zwei Dichter wie Tag und Nacht. Der gemeinsame Nenner, der die beiden Künstler verband, war die konkrete Poesie, eine Kunstform, die sich in den frühen 1950er-Jahren entwickelte und die das Gedicht als visuelles und akustisches Objekt begriff, das vorrangig (durch) seine Struktur kommuniziert. Kommuniziert haben auch die beiden Dichter, über 20 Jahre führten sie ein Briefgespräch über den Ärmelkanal hinweg.

Ernst Jandls Liebe zur deutschen Sprache und Literatur wurde wohl schon früh von seiner Mutter, die selbst Gedichte verfasste, inspiriert. Das intensive Verhältnis zum Englischen, der „Sprache der Freiheit“, entwickelte sich hingegen erst während Jandls Kriegsgefangenschaft in England, wohin er im Lauf seines Lebens immer wieder zurückkehrte, um zu arbeiten, poetische Erfolge zu feiern und Freundschaften zu pflegen – zum Beispiel jene zu Ian Hamilton Finlay.

 
Abb. 1: Ernst Jandl: the times mathematical supplement (unveröffentlichtes Gedicht). Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Nachlass Ernst Jandl, ÖLA 139/99.

Jandl war nicht von Anfang an der experimentelle Dichter, als der er später zum Popstar unter den Poeten avancieren sollte. In der ersten Hälfte der 1950er-Jahre verfasste er eher konventionelle, vor allem von Bertolt Brecht inspirierte Gedichte, die er 1956 in seinem ersten, erfolglos gebliebenen Gedichtband Andere Augen in Wien veröffentlichte. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits mit Friederike Mayröcker ein Paar geworden – diese Verbindung hielt bis an das Lebensende. Trotz der Nähe Jandls zur wiener gruppe gelang es Jandl nicht, für seine eigene sich nun entwickelnde experimentelle Dichtung die Anerkennung zu finden, die er sich erhoffte. Während experimentelle Formen im konservativen Nachkriegsösterreich von einem breiten Publikum als zu radikal und irritierend abgelehnt wurden, war Jandls Arbeit jenen, die sich selbst als experimentelle Künstler begriffen, nicht radikal genug. Seine Entscheidung, als Lehrer neben der Dichtung auch einem Brotberuf nachzugehen, wurde als „bürgerlicher Lebensstil“ aufgefasst und abgelehnt. Auch die gesellschaftskritischen und politischen Elemente, die Nachwirkung Brechts in Jandls experimenteller Arbeit, wurden von der wiener gruppe kritisiert.

Zu Beginn der 1960er-Jahre fand sich Jandl als österreichischer Dichter daher in einer isolierten Position. Er begann Kontakte jenseits der Landesgrenzen zu knüpfen, entdeckte sein Talent als Netzwerker und verband sich rasch jenen, die für die poetische Richtung, der sie sich verschrieben, gerade einen Namen gefunden hatten: Die konkrete Poesie, entstanden aus der poetischen Liebesbeziehung des Schweizers Eugen Gomringer und der brasilianischen Niogandres Gruppe, formierte sich als internationale Bewegung. Obwohl Jandl sich nicht ausnahmslos in das Korsett dieser Benennung fügen wollte, stand er der ihr zugrundeliegenden Auffassung von Poesie sehr nahe und publizierte 1964 zwei Arbeiten in ihr gewidmeten Reihen: In der vom Stuttgarter Ästhetik-Philosophen Max Bense herausgegebenen Reihe rot erschienen Jandls lange gedichte, Eugen Gomringer nahm seinen Zyklus klare gerührt in die selbstverlegten konkrete poesie poesia concreta-Hefte auf. Diese Publikationen dienten Jandl auch als Referenzen bei der Kontaktaufnahme zu Schreibenden desselben Geistes, ob in der ČSSR, wo sich Jandl den konkreten Poeten Jiří Kolář, Josef Hiršal und Ladislav Novák verband, in Brasilien, wo er mit Augusto und Haroldo de Campos ebenso wie mit Décio Pignatari korrespondierte, oder in Großbritannien, wo neben Finlay zahlreiche weitere konkrete Dichter wie etwa John Furnival, Dom Sylvester Houédard und Edwin Morgan zu Jandls Korrespondenzpartnern gehörten.

 
Abb. 2: Ernst Jandl: Brief an Ian Hamilton Finlay, 8. Juli 1984 (Durchschlag). Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Nachlass Ernst Jandl, ÖLA 139/99.

Wenn Ernst Jandl als „Wiener Dichter“ bezeichnet werden kann, so ist eine äquivalente Definition Ian Hamilton Finlays wesentlich schwieriger. Der auf den Bahamas geborene Schotte, der keine Universität besucht hat und nach dem Zweiten Weltkrieg einige Jahre als Schafhirte arbeitete, begann seine künstlerische Karriere als Schreibender, entwickelte sich aber dank der von ihm gegründeten Wild Hawthorn Press zu Beginn der 1960er-Jahre auch zum Verleger und mit seiner bald darauf ins Leben gerufenen Zeitschrift Poor. Old. Tired. Horse. (POTH) zum Herausgeber. Diese Tätigkeiten waren mit dafür verantwortlich, dass Finlay ein äußerst lebendiges und vielleicht noch umfangreicheres Korrespondenznetz als Jandl betrieb und pflegte. Ebenso wie Jandl begann Finlay seine Arbeit als Schriftsteller mit eher konventionellen Ansätzen, darunter auch erzählende und dramatische Texte. Von diesen Genres verabschiedete er sich jedoch bald vollkommen. Auch er verband sich der konkreten Bewegung und hatte weniger Scheu als Jandl, diesen Namen für seine eigene Arbeit anzunehmen. Im erwähnten konkreten Kreis, mit dem Jandl Briefe austauschte, war Finlay schon etwas früher als der Wiener Freund etabliert und renommiert. Die Gedichtsammlungen The Dancers Inherit the Party und Rapel bescherten ihm breite Anerkennung in der konkreten Szene und waren auch einer der Anlässe dafür, dass Ernst Jandl 1964 Kontakt zu Finlay aufnahm. Zu diesem Zeitpunkt, als die konkrete Poesie auf der Höhe ihrer Verbreitung war, begann Finlay bereits, über ihre Grenzen hinauszudenken und die konkrete Poesie als materielle Kunst zu begreifen. Diese Transformation von Gedichten in Gegenstände begann mit seinen poem/prints und ersten Gedichtinstallationen. Diese neue Art, mit experimentellen Wortkunstwerken zu arbeiten, nannte Finlay zuweilen „avant-gardening“.

Sowohl Finlay als auch Jandl entdeckten, dass ihre Poesie nicht an ihre bloße schriftliche Form gebunden bleiben konnte. Für Jandl spielte die lautliche Realisierung des Gedichts von Beginn seiner experimentellen Arbeit an eine essenzielle Rolle. Dementsprechend begann er ab den 1960er-Jahren, mit Musikern zusammenzuarbeiten. Seine erste wesentliche Kooperation war die Zusammenarbeit mit dem Pianisten Dieter Glawischnig und dem Bassisten Ewald Oberleitner, später arbeitete er mit vielen weiteren Musikerinnen und Musikern zusammen. Jandls lebenslange Liebe zum Jazz hat diese Kooperationen wesentlich geprägt. Doch auch der bildenden Kunst war Jandl verbunden. Internationale Künstler wie Jiří Kolář, Constantin Brâncuși und John Furnival, aber auch die Gugginger Künstler um Leo Navratil waren ebenso Kooperationspartner wie Inspirationsquellen. Finlay baute ebenfalls ein umfangreiches Netzwerk an Partnern auf, mit denen er seine sich zunehmend zu Skulpturen gewandelten Gedichte realisierte. Er arbeitete mit Typographen und Druckkünstlern wie Edward Wright, Hansjörg Mayer und Ron Costley ebenso, wie mit Steinmetzen und Schnitzern, etwa mit Michael Harvey, der in Finlays Kunstgarten Stonypath zahlreiche Steinarbeiten gestaltete, und, immer wieder, mit seiner Ehefrau Sue.

 
Abb. 3: Ernst Jandl / Ian Hamilton Finlay (2017): not / a concrete pot. Briefwechsel 1964-1985. Wien/Bozen: Folio. (Cover)

Der Briefwechsel zwischen diesen beiden Ausnahmekünstlern, Zeugnis eines poetologischen und poetischen Gesprächs, das sich über mehr als zwei Jahrzehnte erstreckte, wurde nun in einer im Folio-Verlag erschienenen zweisprachigen Ausgabe mit zahlreichen Abbildungen erstmals an die Öffentlichkeit gebracht. Ermöglicht hat das Ernst Jandls besondere Beziehung zu beschriebenem Papier: Gewissenhaft hat der Dichter seine Korrespondenzen aufbewahrt und dabei nicht nur die an ihn gerichteten Briefe, sondern auch die Durchschläge seiner eigenen Antworten archiviert. In der so entstandenen Sammlung von wohl über tausend schriftlichen Gesprächen ist jenes mit Ian Hamilton Finlay das umfangreichste und intensivste. Sie alle werden im Nachlass Ernst Jandls am Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek verwahrt, das mit diesem Buch zum ersten Mal eines dieser Konvolute publiziert. Aufgrund der hohen Frequenz, mit der sich Jandl und Finlay zeitweise austauschten, wurde für diese Ausgabe eine Auswahl aus dem Gesamtbriefwechsel getroffen, der nach über 20 Jahren des Austauschs über Privates, Professionelles und Poetisches sang- und klanglos und ohne Zerwürfnis zu einem stillen Ende kam.
 

Über die Autorin: » Vanessa Hannesschläger ist Literaturwissenschaftlerin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Austrian Centre for Digital Humanities der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Weiterführende Links:

  • » Nachlass von Ernst Jandl am Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek
  • Netzbiographie » Ernst Jandl Online

Literatur:

Dieser Text ist eine Bearbeitung des Vorworts zu: Ernst Jandl / Ian Hamilton Finlay: not / a concrete pot. Briefwechsel 1964-1985. Ausgewählt und herausgegeben von Vanessa Hannesschläger. Übersetzt von Barbara Sternthal unter Mitarbeit von Vanessa Hannesschläger. Herausgegeben in Zusammenarbeit mit dem Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek. Wien/Bozen: Folio 2017.

Fetz, Bernhard (Hg.) (2005): Ernst Jandl. Musik Rhythmus Radikale Dichtung. Wien: Paul Zsolnay.

Hannesschläger, Vanessa (2016): Ernst Jandl Online, [online] » jandl.onb.ac.at [17.8.2017].

Hannesschläger, Vanessa (2017): „l´amour / die tür / the chair / der bauch“: Konkrete Poesie als Europäisches Projekt, in: Textpraxis 13 (1.2017) [online]. URL: » www.unimuenster.de [17.8.2017].

Schweiger, Hannes und Fetz, Bernhard (Hg.) (2010): Die Ernst Jandl Show. Eine Ausstellung des Wien Museums und des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte und Theorie der Biographie in Kooperation mit der Österreichischen Nationalbibliothek. Wien / St. Pölten / Salzburg: Residenz.

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