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Der vorliegende Band, der die Referate eines Berliner Symposiums vom November 1998 dokumentiert, ist einem in der Forschung bislang sträflich vernachlässigten Thema gewidmet. Der kritisch reflektierende Umgang mit Textausgaben ist nicht nur Grundlage und konstitutiver Bestandteil eines jeden literaturwissenschaftlichen Curriculums – oder sollte es zumindest sein –, vielmehr werden auch an vielen germanistischen Seminaren immer wieder editionsphilologische Kurse abgehalten, ja in Osnabrück und Berlin werden sogar einschlägige Aufbaustudiengänge angeboten, und in München beschäftigt sich ein ganzes Graduiertenkolleg mit Fragen der Textkritik. An Sekundärliteratur, die sich mit Formen, Möglichkeiten und Grenzen der Vermittlung editionswissenschaftlicher Fragestellungen im akademischen Unterricht auseinandersetzt, hat es aber bislang weitgehend gefehlt.
Die vorzustellende Publikation kann diesen Mangel allerdings nur teilweise und bedingt beheben. Informativ, anregend und weiterführend sind diejenigen Beiträge, die die genannten universitären Einrichtungen, ihren Aufbau, ihre Inhalte und ihre Zielsetzungen vorstellen. Auch der Blick auf das regelmäßige editionsphilologische Lehrangebot in Hamburg und insbesondere auf den Studiengang ›Editionswissenschaft‹ in den Niederlanden ist lohnend. Es unterbleibt jedoch – und dies ist durchaus typisch für die germanistische Auseinandersetzung mit der akademischen Lehre – eine hochschulpädagogische Perspektivierung des Themas fast durchgängig zugunsten einer Ausbreitung des jeweils an die Studierenden weitergegebenen Wissens. Dabei bieten gerade editionsphilologische Kurse vielfältige innovative Möglichkeiten des Einsatzes unterschiedlicher Medien und des Experiments mit diversen Sozialformen, Präsentationsmodi und Gruppenarbeiten. Stattdessen referieren selbst die Verfasser von Beiträgen über einzelne von ihnen gehaltene Lehrveranstaltungen immer wieder vor allem die Lehrinhalte, um nebenbei zum Beispiel noch die genutzten Räumlichkeiten oder die Vorteile eines spezifischen EDV-Programms für die Erstellung einer Textausgabe – und nicht etwa für die Gestaltung der akademischen Lehre auf dem Gebiet der Editionsphilologie – anzupreisen. Wenig Weiterführendes bieten auch die Aufsätze, in denen ganz allgemein die Elemente eines editionswissenschaftlichen Curriculums nicht nur aufgefächert, sondern auch ausführlich wiedergegeben werden, so daß der Leser beispielsweise ein erneutes Mal detailliert mit der gängigen Editionstypologie von der historisch-kritischen bis zur Leseausgabe ›bekanntgemacht‹ (vgl. S. 20f.) oder mit Grabenkämpfen zwischen verschiedenen Richtungen der Textkritik um die »Grunderfordernisse« einer Ausgabe (S. 33) konfrontiert wird. Völlig unverständlich erscheint es schließlich, daß ein Beitrag zu »Text in Musik als philologisches Problem« in die Publikation aufgenommen worden ist, der nicht einmal ansatzweise die Gestaltung editionswissenschaftlicher Seminare an Universitäten thematisiert.
Ein Protokoll der Diskussionen am Berliner Symposium ergänzt und beschließt den Sammelband. Dabei wird – was positiv zu vermerken ist – auch die in den vorangegangenen Aufsätzen ausgesparte Frage höchst kontroversiell problematisiert, ob eigenständige Studiengänge der Editionsphilologie überhaupt unabdingbar notwendig für die wissenschaftliche Qualifikation von Herausgebern seien und welche Chance sich die Absolventen einer solchen postgradualen Ausbildung auf dem Arbeitsmarkt ausrechnen dürfen.
Ralf Georg Bogner