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Volker Kaukoreit: Erwin Chvojka / Konstantin Kaiser: Vielleicht hab ich es leicht, weil schwer, gehabt. Theodor Kramer 1897-1958. Eine Lebenschronik. Wien: Theodor-Kramer-Gesellschaft 1997, 118 S., ISBN 3-901602-03-8, € (A) 13,80 / € (D) 13,80. Rezension (09. 05. 2002). In: Sichtungen online, PURL: http://purl.org/sichtungen/kaukoreit-v-1b.html ([aktuelles Datum]). - Auch in: Sichtungen 2 (1999), S. 235-237.

Volker Kaukoreit
Österreichische Nationalbibliothek
Österreichisches Literaturarchiv
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Erwin Chvojka / Konstantin Kaiser: Vielleicht hab ich es leicht, weil schwer, gehabt. Theodor Kramer 1897-1958. Eine Lebenschronik. Wien: Theodor-Kramer-Gesellschaft 1997, 118 S., ISBN 3-901602-03-8, € (A) 13,80 / € (D) 13,80

Rezension

Volker Kaukoreit


[2/ S. 235:] Trotz einiger grundlegender neuerer Arbeiten zu Theodor Kramer (vgl. z. B. Daniela Strigls Dissertation von 1993 und die Kramer-Studien in der Reihe »Zwischenwelt« der Theodor-Kramer-Gesellschaft) war es Kramer-Interessierten bislang nicht möglich, sich mit raschem Zugriff einen zuverlässigen Überblick über die Kramersche Vita zu verschaffen. Die zu Beginn der 80er Jahre in der vierten Sondernummer des »Zirkular« veröffentlichte »Zeittafel« war dazu zwar ein erstes erfreuliches Angebot, das aufgrund der damals noch verhältnismäßig ›unterentwickelten‹ Kramer-Forschung jedoch zwangsläufig lücken- und fehlerhaft bleiben mußte (vgl. Theodor Kramer 1897-1958. Dichter im Exil. Hg. von Konstantin Kaiser. Wien: Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur 1983, S. 133-135). Dieses Manko ist nun durch Erwin Chvojka und Konstantin Kaiser weitgehend behoben worden, und zwar in einer reich bebilderten »Lebenschronik«, die über den Tod Kramers hinaus bis in das Jahr 1984 reicht.

Ansprechend ist die Lesbarkeit dieser Chronik. Daten und Fakten sind nicht trocken aneinandergereiht, sondern werden durch regelmäßig eingestreute Textzeugnisse lebendig gehalten, seien dies Auszüge aus Briefen an und von Kramer, aus Erinnerungen von Freunden und Bekannten oder aus zeitgenössischen Presse-Berichten und ähnlichem - leider nicht ohne einen kleinen Wermutstropfen für den wissenschaftlichen Leser, dem ein genauer Quellennachweis des zitierten Dokuments vorenthalten wird. Die diesbezüglichen Ausführungen in der Herausgeber-»Vorbemerkung« mit ihrem Hinweis auf die Abteilung »Benützte Literatur« (am Ende des Buchs) sind wenig zufriedenstellend, vor allem in bezug auf Zitate aus bisher noch unveröffentlichten Korrespondenzen, deren Standortnachweis über die kursorische Nennung von sechs deutschen und österreichischen Institutionen nicht hinausgeht. Auf völlig anderer Ebene, nämlich mit Blick auf die herstellerische Qualität, wird die allgemeine Lesefreude durch die mangelhafte Klebebindung des Büchleins gedämpft, aus dem sich schon nach kurzem Gebrauch einzelne Seiten zu lösen beginnen.

Nichtsdestotrotz: Wenn der schmale Band auch nicht beansprucht, »als Biographie Theodor Kramers zu gelten oder eine solche zu ersetzen« (Vorbemerkung), so gelingt es ihm über weite Strecken, ein dichtes Bild der bewegten [2/ S. 236:] und bewegenden Lebensgeschichte Kramers mitsamt deren kulturellen, politischen und sozialen Komponenten zu entwerfen: Auf dem Real- und Obergymnasium in Stockerau (Niederösterreich) leidet der zehnjährige, 1897 in Niederhollabrunn geborene Sohn eines jüdischen Gemeindearztes unter dem »religiösen Antisemitismus« seiner Mitschüler. Mit dreizehn Jahren - nun Schüler in Wien - beginnt Kramer, regelmäßig Gedichte zu schreiben, 1913 sympathisiert er mit einer Gruppe der österreichischen Jugendbewegung um den späteren Psychoanalytiker Siegfried Bernfeld, der unter anderem Hanns Eisler und Fritz Gross angehören. 1916 wird der Offiziersanwärter (Einjährig-Freiwillige) Kramer schwer verwundet; über die Kriegseindrücke geben die 1931 erschienenen ›Front-Gedichte‹ »Wir lagen in Wohlhynien im Morast« Auskunft.

Nach dem Abbruch seines Wiener Studiums (zunächst Philosophie, Germanistik, Geschichte, dann Staatswissenschaften) begibt sich Kramer von 1921 bis 1931 auf zahlreiche Streifzüge durch Niederösterreich und das Burgenland, ist jedoch nicht der abgerissene, dichtende ›Sandler‹, als den man ihn oft beschrieben hat. In dieser Zeit arbeitet er als Buchhändler und in einer Buchauslieferung in Wien, seit der Mitte der 20er Jahre veröffentlicht er und tritt bei Lesungen und im (österreichischen und deutschen) Rundfunk auf, Kontakte entstehen zu literarischen Persönlichkeiten wie z. B. Rudolf Brunngraber, Paul Elbogen, Fritz Hochwälder, Joseph Kalmer, Leo Perutz und Georg von der Vring. Der Stadtsenat verleiht ihm 1928 den »Kulturpreis der Stadt Wien« für die Lyriksammlung »Die Gaunerzinke« (gegen die der NS-Ideologe Alfred Rosenberg als »Einfühlung in die Ostjudenseele« polemisiert). Seit 1927 ist Kramer Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiter-Partei Deutsch-Österreichs; auch gehört er dem 1929 in den »Schutzverband deutscher Schriftsteller« integrierten »Kartell Lyrischer Autoren« an. Zu Beginn der 30er Jahre verschlechtert sich sein Gesundheitszustand. Kramer gerät zunehmend in materielle Not, die sich 1933 verstärkt, als die Publikationsmöglichkeiten in Deutschland entfallen.

Nach dem durch die Dollfuß-Diktatur 1934 erfolgten Verbot der »Arbeiter-Zeitung«, in der zahlreiche Kramer-Gedichte erschienen waren, und nach dem sogenannten Juli-Abkommen zwischen Hitler und Schuschnigg von 1936 schreibt Kramer, der 1936 noch den Gedichtband »Mit der Ziehharmonika« veröffentlichen kann, an den Schweizer Schriftsteller Peter Kilian im Februar 1937 aus Wien: »Hier werde ich immer mehr geschnitten und meine Gedichte werden nicht mehr angenommen«. Gerade weil diese Behauptung stimmt, hätten sich die Herausgeber nichts vergeben, wenn sie anschließend dennoch auf Kramers Mitarbeit an dem von Otto Basil herausgegebenen (und bald verbotenen) Kunstheft »Plan« hingewiesen hätten, jenem Vorläufer des gewichtigen Nachkriegs-»Plan«, der ebenfalls Kramer-Texte aufnahm, aber auch im hinteren Teil der »Lebenschronik« unerwähnt bleibt (wohingegen auf zahlreiche andere Literaturzeitschriften Bezug genommen wird; Kramers Kontakt zu Basils »Plan« war der Forschung nicht unbekannt; vgl. z. B. die »Plan«-Studie von Ruth Gross von 1982).

[2/ S. 237:] 1938/39 scheitern - selbst mit der Fürsprache Thomas Manns - verschiedene Emigrationsversuche Kramers (in die Schweiz, die USA, nach Shanghai und in die Dominikanische Republik), doch gelingt im Juli 1939 die Flucht nach England, wo sich bereits seine Frau aufhält (weitere Fürsprecher waren in diesem Zusammenhang auch Franz Werfel sowie Arnold und Stefan Zweig). Im rein quantitativen Vergleich mit der Schilderung der Jahre 1897 bis 1938, denen etwa 40 Seiten eingeräumt werden, fällt die Dokumentation der ›Kernzeit‹ im englischen Exil weit ausführlicher aus. Jene sechs Jahre (1939-1945), in denen Kramer unter anderem als »enemy alien« interniert (Mai 1940 bis Januar 1941) und später ein großes dichterisches Vorbild für die jüngsten Schriftsteller (z. B. Erich Fried) im Kontext des organisierten österreichischen Exils in England wird, werden immerhin auf 30 Seiten abgehandelt, was nicht zuletzt aus den beharrlichen und von den Chronisten sorgfältig ausgewerteten Anstrengungen der Exilforschung resultieren mag. ›Nur‹ knapp 30 Seiten stehen dagegen dem Zeitraum von 1946 bis zu Kramers Rückkehr nach Wien 1957 und seinem baldigen Tod 1958 zur Verfügung. Diese Jahre, in denen er als (permanent kränkelnder und schlecht bezahlter) Bibliothekar in Guildford ein höchst produktiver Brief- und Gedichtschreiber blieb, erscheinen unter dem Stichwort - wie man es im Rückgriff auf Aussagen Kramers bilden könnte - der ›Semigration‹ kaum weniger interessant. Die »Lebenschronik« liefert spannende Informationen zur langandauernden Rückkehrproblemtatik (aus Kramers und aus österreichischer Sicht), während Hinweise auf den (fortbestehenden) Umgang mit anderen in Großbritannien gebliebenen Emigranten (wie z. B. Elias Canetti, Erich Fried und Hilde Spiel) nur punktuell erfolgen und Kramers beruflicher und privater Alltag im Postwar-England insgesamt eine Spur unterbelichtet erscheint. Für eine intensivere Erforschung der zuletzt genannten Periode hält das ÖLA zahlreiche Dokumente bereit, insbesondere mit der ungemein dichten und bisher nur unzureichend ausgewerteten Korrespondenz an Hedwig Stadelmann, die höchstwahrscheinlich im Frühjahr 1999 eine ideale Ergänzung durch den Erwerb der etwa zeitgleichen Briefe an Harry Zohn erfahren wird.

Volker Kaukoreit




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