Ein Darlehen unter römischen Soldaten

Forschung

28.03.2019
Das besondere Objekt, Papyri und antike Schriftstücke
beschriebenes Papyrus mit Button "Das besondere Objekt"
Papyrus, Alexandria, 25. August 27 n. Chr.

Autor: Bernhard Palme

Als letztes der hellenistischen Königreiche wurde Ägypten im Jahre 30 v. Chr. dem Imperium Romanum angegliedert. Die letzte Herrscherin der Dynastie der Ptolemäer, Kleopatra VII., und ihr Verbündeter und Geliebter, der römische Machthaber Marcus Antonius, waren ihrem Widersacher Caius Octavianus, dem späteren Kaiser Augustus, in der Seeschlacht bei Actium 31 v. Chr. unterlegen und nahmen sich in aussichtloser Situation das Leben. Am 1. August 30 v. Chr. marschierten die Truppen des Octavian in die ptolemäische Residenz Alexandria ein. Das Land am Nil wurde als römische Provinz eingerichtet. „Aegypto capta“ (Ägypten erobert!) verkündeten die Münzen des Siegers. Wegen der reichen Getreideproduktion, die bald auch die Versorgung der Stadt Rom sicherstellte, galt der neuen Provinz Aegyptus die besondere Aufmerksamkeit des Kaisers. Römische Truppen wurden im Lande stationiert; Alexandria, die Metropole am Mittelmeer, wurde der Sitz des römischen Statthalters, im Vorort Nikopolis lag das Hauptquartier der römischen Garnison. Hier waren in der Zeit des Augustus eine Legion und drei Infanterieeinheiten (cohortes), vielleicht auch eine Reitereinheit (ala) der Hilfstruppen stationiert. Spätestens ab dem Jahre 23 n. Chr. waren sogar alle beide in Ägypten stehenden Legionen samt Hilfstruppen in Nikopolis zusammengezogen, insgesamt wohl an die 15.000 Mann. Aus diesem Milieu der bei Alexandria stationierten römischen Soldaten stammt die in lateinischer Sprache verfasste Urkunde, ein Schuldschein für ein Gelddarlehen.

Wie bei juristischen Dokumenten erforderlich, sind der Errichtungsort (Alexandria) und das genaue Datum nach dem römischen Kalender und der Konsulsdatierung angegeben. Umgerechnet entspricht das Datum dem 25. August 27 n. Chr. Damit ist dieser Papyrus eine der ältesten, exakt datierten Vertragsurkunden in lateinischer Sprache, die im Original erhalten sind. Nach dem lateinischen Text folgt in den beiden letzten Zeilen die griechische Erklärung des Darlehensnehmers, der den Empfang des Geldes bestätigt. Dabei wird auch das Datum in Griechisch wiederholt, diesmal jedoch nach Regierungsjahren des Kaisers und ägyptischem Kalender.

Das vollständig erhaltene, nur geringfügig beschädigte Dokument besticht gleichermaßen durch die ästhetisch anspruchsvolle, stilisierte Schrift wie durch den knapp und exakt formulierten juristischen Sachverhalt. Paläographisch bietet der Papyrus ein wichtiges Beispiel für eine früh-kaiserzeitliche Urkundenschrift und die damals übliche interpunctio, die Trennung der Wörter durch einen Punkt auf der Mittellinie der Zeile. Der Text lautet in Übersetzung:

„Lucius Caecilius Secundus, Reiter der ala des Paullinus, turma des Dicacius, dem Caius Pompeius, Soldaten der cohors A...[.] des Habetius, centuria des Betitius, einen Gruß! Ich erkläre, dass ich Dir zweihundert kaiserliche und ptolemäische Drachmen schulde, welche ich Dir beim nächsten Sold einschließlich der Zinsen von 3 Assen pro 100 Drachmen für jeden Monat ohne einen Widerspruch zurückzahlen werde, zusätzlich zu den anderen 400 kaiserlichen und ptolemäischen Drachmen gegen Pfand eines versilberten Helmes und eines versilberten Abzeichens und einer silbernen Dolchscheide mit Elfenbeineinlage. Abgeschlossen in Alexandria bei Ägypten, am 8. Tage vor den Kalenden des Septembers unter den Konsuln Caius Sallustius Crispus und Lucius Lentulus Scipio. [Ich, N.N.] habe für sie geschrieben, weil sie die Schrift [zu kennen verneinen].“
(2. Hand): „Ich, Lukios Kaikilios Sekondos, Reiter, der oben Genannte, habe (die Summe) erhalten, wie geschrieben steht. Im 13. Jahr des Kaisers Tiberius Augustus, am 2. Schalttage“.

Abb.: Ein Darlehen unter römischen Soldaten (Papyrus, Alexandria, 25. August 27 n. Chr.)

Das Kreditgeschäft ist vollkommen klar dargelegt: Der Kavallerist Lucius Caecilius Secundus borgt sich von dem Infanteristen Caius Pompeius 200 Drachmen und verspricht, sie bei der nächsten Soldauszahlung samt den angelaufenen Zinsen zurückzuzahlen. Diese Summe ist die Aufstockung eines bereits früher erhaltenen Darlehens von 400 Drachmen, das Secundus gegen Pfand aufgenommen hatte. Die geliehene Summe von insgesamt 600 Drachmen ist nicht unbedeutend. Am Beginn der Kaiserzeit hat man die alexandrinische Drachme im Umrechnungskurs dem römischen Sesterz gleichgesetzt. Vermutlich waren zum Zeitpunkt des Darlehens immer noch die alten ptolemäischen Münzen im Umlauf; darauf dürfte die Bezeichnung „kaiserliche und ptolemäische Drachmen“ anspielen. Um 27 n. Chr. betrug der Jahressold eines Reiters bei den Hilfstruppen 1.050 Sesterzen. Lucius Caecilius Secundus borgte sich also eine Summe, die fast 60 Prozent seines Jahresgehaltes entsprach. Hingegen erhielt Caius Pompeius als Infanterist der Hilfstruppen nur 750 Sesterzen Jahressold, deutlich weniger als sein Kamerad. Dennoch war er in der Lage, 600 Sesterzen zu verleihen.

Für die 200 Drachmen Aufstockung verrechnet Pompeius Zinsen: 6 Prozent oder, bei anderer Deutung der Währungsangaben, 9 Prozent, was niedriger als der erlaubte Maximalzins von 12 Prozent ist. Vermutlich galt derselbe Zinssatz auch schon für das ältere Darlehen von 400 Drachmen, für die Secundus seine versilberten Abzeichen, einen versilberten Helm und eine silberne Dolchscheide mit Elfenbeineinlagen als Pfand versetzt hatte. Diese Objekte gehörten gewiss nicht zur üblichen Standardausrüstung, sondern waren Prunkwaffen, die allenfalls für Paradezwecke getragen wurden. Aus der frühen Kaiserzeit sind solche Prunkwaffen an verschiedenen Fundplätzen im Römischen Reich archäologisch nachweisbar. Bei der etwas rätselhaften insigne, dem dritten Pfandobjekt, dürfte es sich um ein versilbertes Kennzeichen der Waffen oder ein Ehrenabzeichen in der Art von Tapferkeitsmedaillen (phalerae) handeln, wie sie sowohl aus Darstellungen als auch durch Fundobjekte gut bekannt sind.

Neben rechts- und wirtschaftshistorischen, paläographischen und sprachlichen Aspekten bietet der Papyrus auch interessante Details für die römische Militärgeschichte. Die beiden Soldaten tragen lateinische Namen, doch sie dienen in Einheiten, die den Hilfstruppen (auxilia) angehören. Dort leisten Einwohner des Reiches, die noch kein römisches Bürgerrecht haben, ihren Militärdienst. Erst nach etwa 25 Jahren erhalten die Auxiliarsoldaten bei ihrer ehrenvollen Entlassung das Bürgerrecht verliehen. Trotz ihrer lateinischen Namen sind die beiden Vertragspartner demnach noch keine römischen Bürger. Doch die Rekruten erhielten oft schon beim Eintritt in die Armee neue, lateinische Namen, wie ein gleichfalls auf Papyrus erhaltener Brief eines jungen Mannes, der im 2. Jh. n. Chr. zur Flotte ging, deutlich macht: Am Beginn schreibt der aus Ägypten stammende Rekrut: „Apion an Epimachos, seinen Herrn Vater, herzliche Grüße …“. Aber das Post-scriptum am Ende desselben Briefes informiert den Vater: „Mein Name ist jetzt Antonius Maximus!“ (BGU II 423).

Der Darlehensnehmer, Caecilius Secundus, gibt die Erklärung, dass er die Summe erhalten hat, am Ende der Urkunde in Griechisch ab. Vermutlich war dies seine Muttersprache, was wiederum darauf hindeutet, dass Secundus einer der vielen in Ägypten selbst rekrutierten Soldaten war. Das Phänomen der lokalen Rekrutierung trifft man seit etwa der Mitte des 1. Jh. n. Chr. in Ägypten sehr häufig; unser Darlehensvertrag ist jedoch ein recht frühes Beispiel dafür. Aus vielen anderen, zumeist aber späteren Papyri (2. Jh. n. Chr.) weiß man, dass junge Männer aus den griechisch-sprachigen Familien Ägyptens freiwillig in die römische Armee eintraten, um ein gesichertes Einkommen, soziales Prestige, Karrieremöglichkeiten und schließlich das Bürgerrecht zu erwerben. Unsere Urkunde zeigt, dass dieser Trend schon unter den ersten Kaisern begonnen hatte. Die Armee bot gute Aufstiegschancen, aber die Stationierung in der pulsierenden Großstadt Alexandria barg vielleicht auch die Gefahr, den hart verdienten Sold allzu rasch wieder loszuwerden.

Zum Autor: Univ.-Prof. Dr. Bernhard Palme ist Direktor der Papyrussammlung und des Papyrusmuseums der Österreichischen Nationalbibliothek und Professor für Alte Geschichte und Papyrologie an der Universität Wien.

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