Wie entsteht die Kollektion Frau/Gender im Webarchiv der ÖNB? WebkuratorInnen am Werk

Forschung

29.06.2021
Digitale Angebote, Frau und Gender
Screenshot einer Website, auf der alphabetisch Namen von Kollektionen aufgelistet sind

Die Kollektion Frau/Gender ist ein Paradebeispiel für die fruchtbare Zusammenarbeit von Webarchiv-ExpertInnen und FachbibliothekarInnen, die als WebkuratorInnen wichtigen inhaltlichen Input leisten. Wie entstand diese thematische Kollektion und was machen WebkuratorInnen?

AutorInnen: Andrea Gruber, Lydia Jammernegg, Michaela Mayr, Andreas Predikaka

Wie entsteht die Kollektion Frau/Gender im Webarchiv? - WebkuratorInnen am Werk

Vom Webarchiv Österreich der Österreichischen Nationalbibliothek werden seit 2009 umfangreiche Web Crawls durchgeführt, um das digitale Kulturerbe im Web zu dokumentieren und langfristig zu sichern. Dabei standen zu Beginn vor allem technische Fragen im Vordergrund – Hardware, Software, Speicherkapazitäten, Crawl-Parameter, Speicher-Intervalle, Webtechnologien usw. Schon bald war klar, dass es neben den jährlichen umfangreichen Domain Crawls auch thematische Schwerpunkte braucht, die ein besonderes Augenmerk erfordern, damit nicht wesentliche Inhalte verloren gehen. So wurden die ersten Kollektionen im Webarchiv begründet, Webseiten aus den Bereichen Medien und Politik werden seither laufend archiviert.

Immer stärker zeigen sich auch in den unterschiedlichen Sammlungen der Österreichischen Nationalbibliothek die Anknüpfungspunkte zu born digital Medien. Die Kollektion Frau/Gender ist ein Paradebeispiel für die nachfolgend näher beschriebene Zusammenarbeit von Webarchiv-ExpertInnen und FachbibliothekarInnen, die als WebkuratorInnen wichtigen inhaltlichen Input leisten.

 

Entstehungsgeschichte – Rückblick

Im Rahmen einer Abschlussarbeit, die von Ariadne im Rahmen des Universitätslehrgangs für Library and Information Studies 2015 zum Thema „Ariadne 4.0. Dokumentation und Archivierung von digital born Quellen aus dem Gebiet der feministischen-, Frauen- und Geschlechterforschung“ vergeben wurde, entwickelte sich die Kooperation mit dem Webarchiv Österreich. Damit konnte Ariadne an das Thema Dokumentation und Archivierung von digital born Medien anknüpfen.

Ausgangsfrage dieser Abschlussarbeit war: Wie kann feministisches / Genderwissen, das zunehmend digital produziert wird, für die Zukunft erhalten und zugänglich bleiben? Was kann eine kleine Einrichtung wie Ariadne dazu beitragen oder umsetzen?

Mit der Digitalisierung und Globalisierung von Information und Wissen tritt die Frage, was passiert mit den zunehmend born digital erscheinenden und oft kurzlebigen Dokumenten, immer mehr in den Vordergrund:

  • Es ist eine neue Art der Wissensproduktion entstanden, die neue Formen von Quellen generiert.
  • Bisher wurden diese neuen Formen von Quellen nicht ausreichend archiviert und dokumentiert und gingen daher verloren.
  • Es ist zu erwarten, dass diese Verlagerung in den virtuellen Raum immer mehr fortschreitet – wie kann Ariadne diese Entwicklungen aufgreifen?

Die Universitätslehrgangsgruppe hat sich dieses Themas angenommen und mit ihrer Arbeit eine Basis für ein gemeinsames Projekt mit dem Webarchiv Österreich geschaffen. Im Webarchiv werden Akquirierung, Bestandssicherung und Archivierung von born digital Medien bereits routinemäßig durchgeführt und es bestand Interesse an einer Zusammenarbeit. In Kooperation wurde eine kuratierte, inhaltlich fokussierte Kollektion Frau/ Gender entwickelt.

Feministisches/Genderwissen, das digital produziert wird, wird somit archiviert, für die Zukunft erhalten, (eingeschränkt) zugänglich gemacht und steht zukünftig für Forschung und Interessierte zur Verfügung.

 

Kuratierung der Kollektion Frau/Gender – Auswahlkriterien

2016 erfolgte die Umsetzung der Kollektion Frau/Gender im Webarchiv Österreich. Die Kollektion startete mit 60 frauen- und genderrelevanten Onlinequellen mit Österreich-Bezug und wird seitdem jährlich erweitert und ergänzt. 2021 beinhaltet die Kollektion bereits 160 Einträge.

Welche formalen und inhaltlichen Bearbeitungskriterien liegen der Kollektion zugrunde:

a. Inhaltliche Auswahlkriterien

  • Was ist relevant zu archivieren? Was sind wichtige Sammelschwerpunkte und wie kann eine inhaltliche Eingrenzung erfolgen? Was lässt sich ausschließlich im Netz finden?
    • Theoretische und wissenschaftliche Diskurse (junger) ForscherInnen (Salon 21, Feministische Studien, Genderblog, …)
    • AktivistInnendiskurse finden zunehmend im Netz statt (Unregelmäßige Gedankensplitter, Mädchenmannschaft, …)
    • Aktuelle Diskurse, wie z.B. die Binnen-I-*-:-Diskussion, finden in verschiedensten Online-Medien ihren Niederschlag (Blogs, Newsletter, Social Media, …)
  • Was beinhaltet die Kollektion? Wo werden die oben genannten Themen und Diskurse abgehandelt?
  • Feministische, Frauen und Gender-IuD-Einrichtungen/-bibliotheken und -archive
  • Universitäre - und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen
  • Einrichtungen, Abteilungen, Ministerien der Länder und des Bundes
  • NGO’s und Vereine
  • Feministische Medien, Blogs, persönliche Seiten
  • Websites, die zu aktuellen Debatten entstehen und oft nur kurzfristig existieren
  • Verlage und Buchhandlungen
  • Museen, Ausstellungen und Kultureinrichtungen

 

b. Formale Kriterien

  • Um welche Dokumente handelt es sich bei den ‚born-digitals‘ der feministischen, Frauen- und Geschlechterforschung? Websites, Blogs, PDFs, Social Media (Twitter, Facebook, Instagram, …), Podcasts, Videos, E-Books, … - nur ein Teil davon kann über die Webarchivierung erfasst werden
  • Parameter, die erhoben werden: Struktur der Website, Ebenen der Archivierung, Veränderungsintervalle, Multimedia-Anteile

In den fünf Jahren, in denen die Kollektion Frau/Gender nun bereits besteht, wurde ersichtlich, dass Webauftritte und Onlinequellen einer unterschiedlichen Dauerhaftigkeit unterliegen. Dies aus verschiedensten Gründen:

  • Namensänderungen von Institutionen (wie Ministerien) inklusive IP-Adressänderungen, obwohl die Institution bestehen bleibt, erschweren die Wiederauffindbarkeit und Archivierungstätigkeit beträchtlich.
  • (Forschungs-)Projekte, die abgeschlossen sind und keine Weiterbetreuung erfahren, stellen meist nach einigen weiteren Jahren ihre Webpräsenz ganz ein.
  • Organisationen, wie Vereine oder Verlage, die etwa nach 20 oder 30 Jahren ihre Tätigkeit einstellen beenden infolgedessen auch ihre Webauftritte.
  • Onlinequellen, die zu aktuellen Diskursen entstehen, haben von vorherein ein kürzeres Ablaufdatum, je nachdem wie schnell das Thema seine Aktualität verliert.

 

Crawl der Kollektion

Im Idealfall kommt die kuratorische Betreuung eines Crawls, wie bei der Frau/Gender Kollektion, aus der Fachabteilung und das Webarchiv setzt auf Basis der erhobenen formalen Kriterien den technischen Crawl um. So wird für jede Ausgangsadresse einer Webseite (Seed) ein sogenanntes “Seed Scoping” durchgeführt. In diesem Prozess wird festgelegt, welche Webinhalte für welche Seite in welchem Umfang archiviert werden. Fallweise lässt sich eine gewünschte kuratorische Crawltiefe, aufgrund der Beschaffenheit einer Webseite, technisch nicht exakt beschreiben, was dazu führt, dass der Crawler entweder zu wenige oder zu viele Webinhalte speichert. Um die Webseite schließlich so gut wie gewünscht zu archivieren, werden mit Testcrawls die optimalen Einstellungen des Crawlers für die endgültige Archivierung ermittelt. Im Verlauf dieser Arbeit muss auch immer das für die Kollektion zur Verfügung stehende Speicherbudget im Auge behalten und die aktuellen medienrechtlichen Bestimmungen für das Webarchiv beachtet werden.

Die ausgewählten frauen- und genderrelevanten Onlinequellen werden zweimal jährlich im Rahmen des verfügbaren Speicherbudgets gecrawlt und bis zu einem Limit von 250 MB pro Domain gespeichert, was bei immer zahlreicheren Domains nicht mehr für ein komplettes Abbild ausreicht. Diese Problematik wird auch in der Abbildung 1 deutlich, die zeigt, dass in den ersten Jahren die gecrawlte Speichermenge mit der Anzahl der Seeds steigt, aber in den letzten Jahren deutlich abgeflacht ist, während die ausgewählten Onlinequellen im letzten Jahr ein Maximum erreichten.

Abb.1

Auch in Zukunft wollen die WebkuratorInnen der Ariadne gemeinsam mit dem Webarchiv-Team an den unterschiedlichen Herausforderungen weiterarbeiten. Die Kollektion Frau/Gender ist keine große, aber eine qualitativ sehr hochwertige, die als Vorbild für künftige weitere Kooperationen mit unterschiedlichen FachexpertInnen dienen kann.

Die Österreichische Nationalbibliothek bedankt sich sehr herzlich beim Wiener Städtischen Versicherungsverein für die Unterstützung des Webarchivs Österreich.

­Mag. Andrea Gruber MSc und Mag. Lydia Jammernegg MSc arbeiten in der Frauen-Dokumentationsstelle Ariadne, Mag. Michaela Mayr MSc und Mag. Andreas Predikaka im Webarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek.

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