Querelle des femmes an der Hofbibliothek

Forschung

29.06.2017
Frau und Gender
Forschungsblog Ariadne, Querelle des femmes
„Der Geist hat kein Geschlecht“ – Diskurs der Geschlechter in Werken von Christine de Pisan, Moderata Fonte und Lucrezia Marinella

Autorin: Christa Bittermann-Wille

Die ursprüngliche Form einer „querela“ (Klage oder Anklage, Streitschrift) in der Renaissance ist eine schriftliche Debatte um die Würde des Menschen (i.e. des Mannes), Religion, Krieg und Frieden. Männliche Autoren führen schriftliche Streitgespräche und haben dabei als Publikum oder Diskurspartner allein ihre Geschlechtsgenossen im Fokus. Topoi dieser oftmals misogynen Schriften sind häufig geistige Fähigkeiten, die Frauen abgesprochen werden, Inferiorität/Superiorität, Gleichheit/Ungleichheit der Geschlechter etc. Diese Traktate, Dialoge auch Briefe werden zunehmend in italienischer, französischer, ebenso deutscher Sprache verfasst und finden so ein immer größeres – auch weibliches ­– Publikum.

Bei gelehrten Frauen regt sich Widerstand – sie schreiben gegen diese Herabwürdigung an – der Geschlechterkampf (Querelle des femmes) scheint damit eröffnet. Eine neue Literaturgattung, die sowohl belehrte als auch unterhielt, entstand. ForscherInnen gehen von ca. tausend solcher Schriften im 15. und 16. Jahrhundert aus. Werke einer Christine de Pisan, Moderata Fonte oder Lucrezia Marinella u.a. befassen sich mit der „Würde, Vortrefflichkeit und Intelligenz“ von Frauen – Eigenschaften, die ihnen damals von Männern generell abgesprochen wurden. Mit Ausnahme von Christine de Pisan, die zwar in Venedig geboren wurde, aber fast ihr ganzes Leben in Frankreich verbrachte und auch dort publizierte, kann man „La Serenissima“ zu Recht eine herausragende Rolle im frühen „Feminismus“ zusprechen. Gemeinsam ist den hier besprochenen Büchern von Fonte und Marinella der Erscheinungsort Venedig und die Stadt ist auch der Schauplatz des (frauenspezifischen) Geschehens.

Dieser Beitrag greift drei außerordentliche Werke der „Querelle“ heraus, die seit Jahrhunderten zum Bücherschatz der Hofbibliothek gehören; durch das <link digitale-bibliothek-kataloge/austrian-books-online-abo/>» ABO-Projekt</link> der Österreichischen Nationalbibliothek sind diese Zimelien nun auch im Volltext online zugänglich.

Christine de Pisan (1364–1430) zählt zu den ersten Schriftstellerinnen, die auch philosophische und politische Schriften verfasste. Obwohl sie als Witwe vom Schreiben ihren Lebensunterhalt bestreiten muss, scheut sie die Auseinandersetzung mit einem vorwiegend männlichen Publikum nicht. Mit ihren Werken „Épître au Dieu d’Amours“ (1399) und „Le Dit de la Rose“ (1401) eröffnet sie sehr früh den französischen Diskurs gegen misogyne Schriften, setzt sich für Frauenbildung ein und ist überzeugt, dass Frauen fähig sind, Wissenschaftlerinnen, Künstlerinnen oder auch Erfinderinnen zu sein.

Ihre Schrift » Le Livre de la Cité des Dames (1404/05) ist zweifelsohne die Krönung ihres literarischen Schaffens: Einleitend wird ein stilistischer Kunstgriff angewendet: als Aporetikerin glaubt sie scheinbar zuerst den Lügen über Frauen wie sie von „hervorragenden“ Philosophen und Dichtern verbreitet werden – diese können doch nicht irren? Anfangs noch zweifelnd, hadernd mit Gott als Frau geboren zu sein, stellt sie sich dann gegen diese Humanisten. Sie entwickelt in allegorischen Gesprächen mit der „Vernunft", der „Aufrichtigkeit" und der „Gerechtigkeit" und mit Hinweis auf große Frauen der Bibel und Mythologie (Sappho, Minerva, Medea, christliche Märtyrerinnen und Amazonen kommen zu Wort) ihren Entwurf einer idealen Stadt für Frauen. Diese Rückbesinnung auf antike Frauengelehrsamkeit ist ein guter Schachzug – Frauen hatten dort politische und religiöse Funktionen, waren Philosophinnen etc. Sie sind sozusagen durch die Geschichte unantastbar geworden. Damit stärkt sie das Selbstvertrauen ihrer weiblichen Geschlechtsgenossinnen und macht ihnen Mut. Das Werk ist ein nicht nur belehrender, sondern auch unterhaltsamer Aufruf zu mehr weiblicher Subjektivität und Selbstvertrauen.


Abb. 1: Christine de Pisan im Gespräch mit der „Aufrichtigkeit“, der „Vernunft“ und der „Gerechtigkeit“, dahinter wird an der Cité des Dames gebaut.

Eine weitere herausragende Schrift ist Moderata Fontes (1555­–1592) Dialog »Il Merito Delle Donne. Noch kurz vor ihrem plötzlichen Tod im Kindbett beendet, erscheint dieses Werk erst 1600 posthum. Einer literarischen Öffentlichkeit war Moderata Fonte (wirklicher Name Modesta dal Pozzo de‘ Zorzi) schon früher durch ihre Epen, Sonette und Madrigale bekannt. Schauplatz ist Venedig und die ungerechte Aufteilung der Handlungsräume von Männern und Frauen. Sie inszeniert ein reines Frauengespräch – Männer sind ausgeschlossen, damit Frauen sich frei bewegen, lachen und diskutieren können, denn männliche Anwesenheit und weibliche Freiheit schließen einander aus. Verschiedene Gastgeberinnen, unterschiedlichen Alters und Standes treffen in einem Garten zusammen; sie spielen Anklägerinnen und Verteidigerinnen des Mannes; Satire und Ironie bestimmen den Dialog. Hauptthemen sind die vier Säulen Theologie, Medizin, Philosophie und Geschichte mit den Topoi: Erschaffung des ersten Menschen, männlicher versus weiblicher Körper, Gewalt und Tyrannei von Männern u.a.. – auch hier wird das Vorbild antiker Frauen zitiert.

Als Absicherung und Verteidigung der Schrift widmet Moderata Fonte dieses Werk einer damals mächtigen Frau, der Herzogin von Urbino. Erst 2001 – im Zuge einer forcierten (feministischen) Frauenliteraturgeschichte erscheint eine vollständige, wissenschaftlich kommentierte deutsche Fassung unter dem Titel: „Das Verdienst der Frauen – warum Frauen würdiger und vollkommener sind als Männer“. (Fonte 2001).

Die Dritte in diesem Bunde zählt ebenfalls zu den profiliertesten Schriftstellerinnen der Hochrenaissance mit frauenbezogenen Themen. Auch sie ist äußerst gebildet, sie kennt die Schriften der antiken Philosophen, die sie unter Auslassung der antifeministischen Bezüge rezipiert.

Lucrezia Marinellas (1571­–1653) „Defensio“ » La Nobilta Et L'Eccellenza Delle Donne, Co Diffetti, E Mancamenti De gli Huomini erscheint ab 1600­–1621 in etlichen Auflagen. Thema ist wiederum der „Adel“ und die Vorzüglichkeit der Frauen, die Frau als Meisterwerk des Schöpfers und als Erzieherin des Mannes. Vor allem was Sitten und Tugenden angeht, schildert sie die Frauen als überlegen. Durch ihre Sichtbarmachung antiker weiblicher Figuren  und ihrer Meriten beginnt auch so etwas wie eine weibliche Geschichtsschreibung. In diesem Zusammenhang muss auf alle Fälle noch eine vierte Venezianerin mit ihrem Werk zumindest erwähnt werden: Arcangela Tarabottis » La Semplicità Ingannata, ebenfalls im Bestand der Hofbibliothek, aber im Katalog mit der falschen männlichen Autorenangabe verzeichnet (sic!). Somit kann man Venedig zu Recht eine Avantgarderolle in der Geschichte des modernen Feminismus zusprechen.

Ein Exkurs in den deutschsprachigen Raum dieser Zeitepoche mit Autorinnen wie Katharina Zell oder Argula von Grumbach käme zu einem gänzlich anderen Befund. Zu sehr waren dort auch gelehrte Frauen eher mit theologischen Fragen der Reformationsbewegung beschäftigt als mit Fragen der Gleichberechtigung der Frau.

Dieser kleine Streifzug durch die „Querelle des femmes“ der (romanischen) Renaissance sollte auch zeigen, dass der Kampf um die Gleichheit der Geschlechter, die Frauenbildung eine lange Tradition hat – und bereits noch vor der Aufklärung und allen Frauenbewegungen der weit späteren Jahrhunderte ihren Anfang nahm.

Über die Autorin: Christa Bittermann-Wille ist Mitarbeiterin des frauen- und genderspezifischen Wissensportals Ariadne der Österreichischen Nationalbibliothek.

Primärliteratur:

Pisan, Christine de (um 1470): Le Trésor de la Cité des Dames. Mit Prolog von Antoine Vérard (Winn, 13); Widmungsexemplar für Anne de Bretagne (1477-1517); Ink 3.D.19; 8. Aug. 1497 Volltext: » data.onb.ac.at/dtl/2788460

Fonte, Moderata (1600): Il Merito Delle Donne. Venedig. Volltext: » data.onb.ac.at/ABO/%2BZ175181201

Fonte, Moderata (2001): Das Verdienst der Frauen : warum Frauen würdiger und vollkommener sind als Männer. Nach der ital. Ausg. von 1600 erstmals vollst. übers., erl. sowie hrsg. von Daniela Hacke. München.» data.onb.ac.at/rec/AC03269440 

Marinella, Lucrezia (1621): La Nobilta Et L'Eccellenza Delle Donne, Co Diffetti, E Mancamenti De gli Huomini. Discorso In Due Parti Diviso ... Ricorretto, Et Accresciuto in questa terza Impressione. Venedig. Volltext: » data.onb.ac.at/ABO/%2BZ175163600

Literatur:

Chemello, Adriana (2000): The rhetoric of eulogy in Lucrezia Marinella’s „La nobiltà et l’eccellenza delle donne“, in: Women in Italian Renaissance culture and society, London, Legenda., S. 463-477.

Cherchez la femme: » webarchiv.onb.ac.at (besucht März 2017)

Engel, Gisela /(Hg.) (2004): Geschlechterstreit am Beginn der europäischen Moderne : die Querelle des femmes. Königstein/Taunus: Helmer. 

Gössmann, Elisabeth (Hg.) (1985): Eva – Gottes Meisterwerk München: Iudicium.

Grewe, Andrea (2004): „Un uomo senza donna è pur una mosca senza capo“. Formen und Funktion weiblichen Lachens in Moderata Fontes „Il merito delle donne“, in: Frauen in der Frühen Neuzeit, Köln: Böhlau., S. 149-164.

Schmidt, Paul Gerhard (Hrsg.) (1994): Die Frau in der Renaissance. Wiesbaden: Harrassowitz.

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