Conquerring the Territory

Forschung

06.02.2019
Bilder und Grafiken
Schiffe am Sueskanal
Fotografien von den Bauarbeiten und der Eröffnung des Sueskanals im Jahr 1869 sind rar. Bildarchiv und Grafiksammlung beherbergen sieben Fotografien von Justin Kozlowski, deren Entstehungsumstände und mediale Verbreitung untersucht werden.

Autorin: Marlies Dornig

Der Sueskanal in frühen Fotografien

Mit dem Sueskanal, der eine direkte Verbindung zwischen Mittelmeer und Rotem Meer herstellt, wurde eine neue Ära des Seetransports und transnationalen Handels eingeläutet. Bereits 1846 wurden in Ägypten Messungen durchgeführt, um die Möglichkeiten zum Bau eines Kanals auszuloten. Wissenschaftler aus drei Nationen (England, Frankreich und Österreich) führten Studien durch, wobei schlussendlich die schleusenfreie Variante des österreichischen Ingenieurs Alois Negrelli (1799–1858) zur Ausführung kam.


Abb. 1: Alois Negrelli, Übersichts-Karte der Küste des mittelländischen Meeres bei Gun el Tineh, 1844, kolorierte Handzeichnung, 52,7 x 78 cm, KAR K III 99717, 3

Um seiner Tätigkeit Nachdruck zu verleihen, übergab Negrelli von ihm gefertigte Karten und Profile an die Hofbibliothek (heute Österreichischen Nationalbibliothek) mit dem Vermerk, „daß der Isthmus selbst als ein durch gewaltige Naturereignisse gebildeter Landstrich aus welchem das Meer gewaltsam verdrängt wurde zu betrachten sei, und daß somit durch die einfache Durchstechung […] diesem Meere das alte Gebieth wieder eingeräumt, und der großen Schiffahrt von Europa nach beiden Indien somit der natürlichste und kürzeste Weg auf die leichteste Weise eröffnet werden könne“[1].

1854 erhielt der französische Jurist und Diplomat Ferdinand de Lesseps (1805–1894) die Konzession für den Bau des Kanals und gründete die „Compagnie universelle du canal maritime de Suez“. Der Spatenstich fand am 25. April 1859 in Port Said statt. Am 16. November 1869 wurde der Sueskanal schließlich unter Anteilnahme der europäischen Mächte, darunter Kaiser Franz Joseph I., mit einer geistlichen Einweihungszeremonie in Port Said eröffnet.


Abb. 2: Édouard Riou, La Tribune des Souverains, in: Inauguration du Canal de Suez. Voyage des Souverains, BAG FID 290.504-F, Tf. 8

Tags darauf fand die feierliche Jungfernfahrt durch den 162,25 Kilometer langen und rund 8 Meter tiefen Kanal statt, angeführt von Kaiserin Eugenies französischem „Aigle“ und dem österreichischen „Greif“ an zweiter Stelle.

Alle Augen waren auf Ägypten gerichtet, das für kurze Zeit zum Zentrum der Welt wurde. Tausende Gäste aus ganz Europa strömten nach Port Said, um das neue Wirtschaftswunder und die „symbolische Vermählung des Morgen- und Abendlandes“ zu bestaunen. Unter ihnen der Fotograf Justin Kozlowski (*1811, aktiv in den 1860er Jahren), der bereits seit Jahren in Port Said lebte und die topografischen und baulichen Veränderungen rund um den Sueskanal mit seiner Kamera festhielt. Davon zeugt eine Mappe mit sieben auf Karton kaschierten Albuminabzügen, die sich in Bildarchiv und Grafiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek befindet. Kaiser Franz Joseph I. hatte diese vermutlich nach seiner Teilnahme an den Eröffnungsfeierlichkeiten erhalten und in die Sammlung der Fideikommißbibliothek eingebracht. Dort wird die Mappe gemeinsam mit anderen Erinnerungsstücken und Geschenken von der Orientreise des Kaisers unter der Inventarnummer *690 verwahrt.

Eine der Aufnahmen zeigt ein aus dem Mittelmeer einfahrendes Dampfschiff sowie weitere im Hafen von Port Said ankernde Schiffe.


Abb. 3: Justin Kozlowski, Hafen von Port Said, 16. November 1869, Albuminabzug auf Karton, 31 x 41 cm, BAG FKB *690dd, 2

Angefertigt wurde diese wahrscheinlich von einer Tribüne, die für Zuseher des Eröffnungsspektakels errichtet worden war. Die Fotografie ist signiert, jedoch undatiert. Im Album „Canal maritime de Suez“, in dem sich 32 Albuminabzüge Kozlowskis befinden, wird der 16. November 1869 als Entstehungsdatum angegeben.

In einer weiteren Fotografie hält Kozlowski das Geschehen während der Einweihungszeremonie von einem erhöhten Standpunkt aus einiger Entfernung fest.


Abb. 4: Detail: Justin Kozlowski, Religiöse Einweihungszeremonie in Port Said aus der Vogelperspektive, 16. November 1869, Albuminabzug auf Karton, 31 x 41 cm, BAG FKB *690 dd, 5

Es ist zu erkennen, dass sich die geladenen Gäste um die Tribünen drängen, währenddessen Schaulustige den beflaggten Weg zum Festgelände säumen. Kozlowskis Aufnahme gibt einen Eindruck des sumpfigen Gebiets rund um den Platz, wo sich ebenso Zuschauer zu Pferd und Kutsche einfanden. Die Stadt war mit den Bauarbeiten aus dem Nichts entstanden und dementsprechend unfertig präsentierte sich das Stadtbild Ende 1869. Nach einem Rundgang berichtete Kaiser Franz Joseph I. über „lauter breite Gassen, in denen man tief im Sand watet“[2].


Abb. 5: Justin Kozlowski, Ansicht von Port Said, 5. Oktober 1869, Albuminabzug auf Karton, 31 x 41 cm, BAG FKB *690dd, 7

Kozlowskis Aufnahmen stellen eine Besonderheit dar, da die Eröffnungsfeierlichkeiten in Port Said nur von wenigen Fotografen abgelichtet wurden, unter ihnen Auguste-Rosalie Bisson (1826–1900) und Hippolyte Arnoux (aktiv zwischen 1869 und ca. 1890). Arnoux und Bisson wurden bereits in einigen Ausstellungen und Beiträgen gewürdigt, doch über Kozlowski und sein Schaffen war bislang wenig bekannt. Kozlowski emigrierte in den 1830er Jahren nach Frankreich und lebte zwischen 1841 und Dezember 1851 in La Rochelle. Als Drucker hatte er die besten Voraussetzungen für eine spätere Karriere als Fotograf, denn zu Beginn wechselten viele Maler oder Drucker ins Fach der Fotografie. Es bleibt unklar, wo Kozlowski seine fotografischen Kenntnisse erlernte. Er wendete das damals übliche nasse Kollodiumverfahren an; Signatur und Beschriftung am Negativ sowie die Anbringung seiner Initialen und den Titel „Souvenir du canal maritime de Suez“ auf der Rückseite der Albuminabzüge im Carte-de-visite-Format lassen auf ein Atelier und einen Vertrieb in größerer Auflage schließen.


Abb. 6: Justin Kozlowski, Rückseite von „Une drague à long couloir“, o. J., Albumin auf Karton, 10 x 15 cm, Privatbesitz

Im Zuge der Recherchen stellten sich die Aufnahmen rund um den Sueskanalbau als seine einzigen fotografischen Arbeiten heraus. Der polnische Ingenieur Janicki überwachte die Grabungen zwischen Port Said und Ismailia, wofür er polnische Arbeiter anheuerte. Die Vermutung liegt nahe, dass der gebürtige Pole Kozlowski von Janicki engagiert wurde. Dies wäre nicht außergewöhnlich, denn auch andere Unternehmen beauftragten Fotografen, um ihre Leistungen ins rechte Bild zu rücken. Louis Cuvier (aktiv 1866–67) etwa war für A. Couvreux zwischen Port Said und Ismailia tätig. Bereits früh erkannten Unternehmer den Nutzen und die Aussagekraft des jungen Mediums Fotografie.

Einerseits wurde den Fotografien jener Zeit ein dokumentarischer Charakter mit Erinnerungswert attestiert, andererseits wurden diese medial zur weltweiten Propaganda eingesetzt. Es entstanden prachtvolle Alben, die an wichtige politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger verschenkt, aber auch kommerziell vertrieben wurden. Besonders Abzüge im handlichen und kostengünstigen Visitkartenformat, ab den 1860er Jahren populär, fanden großen Anklang und trugen wesentlich zum nachfolgenden Tourismusboom bei.


Abb. 7: Justin Kozlowski, Einschiffung am Quai Eugenie in Port Said, 16. November 1869, Albuminabzug auf Karton, 31 x 41 cm, BAG FKB *690dd, 1

Fotografien vom Sueskanal wurden darüber hinaus zur Illustration von Zeitungsberichten herangezogen und als Anschauungsobjekte in die Pariser Weltausstellungen von 1867 integriert. Diese internationale Leistungsschau bot eine hervorragende Gelegenheit das ambitionierte Projekt bereits zwei Jahre vor der Einweihung der Öffentlichkeit zu präsentieren. Aus diesem Grund ließ die Compagnie einen eigenen Sueskanal-Pavillon errichten, in dem einerseits die Arbeiten und andererseits das Land Ägypten vorgestellt wurden. Die Hauptattraktionen im Inneren waren ein Relief der geografischen Gegebenheiten sowie ein dreidimensionales Baustellenmodell mit den verwendeten Maschinen.


Abb. 8: M. Lancelot, Plan en relief du canal et modèle des traveaux, in: Exposition universelle de 1867, 16. Mai 1867, 116, BAG FID 274.778-C

Fotografien von Ermé Désiré (aktiv ab den 1860er Jahren bis in die 1880er Jahre) vervollständigten die Einblicke und gaben das Gefühl, den Kanal ganz ohne beschwerliche Reise besuchen zu können. In der Pariser Weltausstellung von 1889 präsentierte die Compagnie den Sueskanal erneut in einem eigenen Pavillon. Hierfür wurden die in den 1880er Jahren entstandenen Fotografien von Hippolyte Arnoux und den Zangaki Brüdern verwendet, in einer Zusammenschau mit diversen Karten und Plänen.

Eine Besonderheit auf der Ausstellung von 1867 war, dass man die eigens für die Arbeiten am Sueskanal entwickelten Schwimmbagger hier im kleinen Format betrachten konnten. Damit stellten sie einen Höhepunkt der technischen Entwicklung dar, dementsprechend groß war das Interesse. Die Bilder der technischen Geräte gingen in der Folge um die Welt und konnten so potenziellen neuen Auftraggebern vorgelegt und als „Produktfotografie“ zu Werbezwecken eingesetzt werden. Ein Teil der Bagger vom Sueskanal wurde tatsächlich ab 1870 von der „Donau-Regulirungs-Unternehmung A. Castor, A. Couvreux & H. Hersent“ für den Bau der Donauregulierung in Österreich-Ungarn wiederverwendet. Der Wiener Fotograf Hermann Voigtländer (aktiv zwischen 1868 und 1894) lichtete diese ab und eine seiner Aufnahmen diente wiederum als Vorlage für eine Illustration im sogenannten Kronprinzenwerk.[3]


Abb. 9: Hugo Darnaut, Excavateur (Bagger) bei der Wiener Donauregulierung, vor 1886, Federzeichnung auf Papier, BAG Pk 1131, 723

Die ersten fotografischen Aufnahmen rund um den Sueskanal fungieren heute als wertvolle zeitgeschichtliche Dokumente. Auch wenn die Umstände ihrer Entstehung teilweise noch nicht geklärt werden konnten, zeugen sie von der Entwicklung eines einst öden Landstrichs zum Handelszentrum und Zielort europäischer Reisender. Sie sind Zeugen von Städten, die aus dem Nichts entstanden, von temporären Einrichtungen, über die ansonsten nur spekuliert werden könnte. Sie sind auch Zeugen eines industriellen Wettstreits zwischen den damaligen europäischen Großmächten, deren Rivalität in den populären Weltausstellungen kulminierte. Hier wird das Streben nach Präsentation, nach dem Erreichen eines größtmöglichen Publikums besonders deutlich.

Die sukzessive Verbreitung von Bildmaterial – ob nun durch die Compagnie oder private Unternehmer beauftragt – kann als frühe Form der Öffentlichkeitsarbeit gesehen werden. In diesem Zusammenhang spielten die Fotografen eine besondere Rolle, denn mit ihrer Motivwahl entschieden sie darüber, welches Bild in die Welt hinausgetragen wurde.

Über die Autorin: Dr. Marlies Dornig MA ist Kunsthistorikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin in Bildarchiv und Grafiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek.

[1] Schreiben von Alois Negrelli an die Hofbibliothek, Wien, 17. März 1857. Österreichische Nationalbibliothek/Archiv Hausakten, 51/1857.

[2] Brief von Kaiser Franz Joseph I. an Kaiserin Elisabeth, Am Greif, Ismailia, 18. November 1869, in: Georg Nostitz-Rieneck (ed.), Briefe Kaiser Franz Josephs an Kaiserin Elisabeth. 1859-1898, Wien/München 1966, 121.

[3] Rudolf von Österreich, Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild, Wien 1886-1902, Bd. Wien, Wien 1886, 322.

Literatur:

Hélène Bräuner, Les représentations du Canal de Suez (XVe– XXe siècles): esthétiques et politiques d’une vision, Univ. Diss., Strassburg 2015.

Marlies Dornig, Conquering the Territory. The Sues Canal and its early depiction. In: PhotoResearcher 28 (2017), S. 46–56.

Nissan N. Perez, Focus East. Early photography in the Near East (1839– 1885), New York 1988.

Caroline Piquet, Histoire du canal de Suez, Paris 2009.

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